Zürich«Negative Erfahrungen und falsche Vorbilder können zur Gewalttat motivieren»
Im Schulkreis Schwamendingen wurde eine Zwölfjährige von einer Schülerin spitalreif geprügelt. Ein Schulpsychologe erklärt, wie Kinder und Jugendliche zu einer solchen Tat motiviert werden können.

- von
- Erika Unternährer
Darum gehts
In Schwamendingen wurde eine Zwölfjährige von einer 15-Jährigen verprügelt. Umstehende Schülerinnen und Schüler filmten die Tat und verbreiteten die Aufnahmen über die sozialen Medien.
Ein Schulpsychologe ordnet das Geschehen ein – er erklärt die Motivation hinter einer solchen Tat und die Auswirkungen einer solchen Tat auf das Opfer.
Laut dem Präsidenten des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands versucht man heutzutage in der Schule, über diverse Präventionsmassnahmen Mobbing zu verhindern.
Wie eine Rechtsanwältin erklärt, sei man in der Schweiz bereits ab zehn Jahren strafmündig.
Sie wurde nicht nur heftig verprügelt, sondern von vielen mitverfolgt. Doch niemand kam der Zwölfjährigen zu Hilfe. Stattdessen filmten Schülerinnen und Schüler das Geschehen und brachten die Aufnahmen über Social Media in Umlauf. Seit dem Vorfall ist das Opfer verunsichert und geht ängstlich auf die Strasse, wie die Zwölfjährige gegenüber «Züritoday» sagte: «Es könnte genau das Gleiche nochmals passieren, sogar schlimmer.»
Weiter berichtet das Newsportal, dass es sich bei der Täterin um eine 15-Jährige handelt. Diese soll ehemals die gleiche Schule wie ihr Opfer besucht haben. Grund für die brutale Attacke sei eine Auseinandersetzung, welche sich vor zwei Jahren zwischen den beiden Mädchen ereignet habe.
Kinder und Jugendliche können Auswirkungen nicht einschätzen
Laut Matthias Obrist, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes der Stadt Zürich, sind derartige Gewaltvorfälle zwischen Mädchen sehr selten. «Wir kennen die Hintergründe nicht, aber eigene negative Erfahrungen und falsche Vorbilder der Mädchen, auch aus den Medien, können eine Rolle spielen.»
Das Verhalten der anderen Kinder und Jugendlichen, welche die Tat filmten, anstatt sie zu verhindern, erklärt Obrist so: «Der unmittelbare Reiz, ein eindrückliches Video zu verbreiten, kann grösser und wichtiger sein als der Impuls zu helfen.» Für das Opfer hingegen bedeute eine solche Demütigung einen Einbruch in den Alltag. «Das Gefühl von Sicherheit ist weg» – auch im digitalen Leben: «Das Internet führt zu einer neuen Dimension von Verbreitung und Öffentlichkeit, es vergisst nicht und ein Video bleibt immer irgendwo im Netz hängen.»
Was Kinder zu solchen Gewaltakten motiviere, sei die Neugier, Grenzen für sich und andere auszutesten: «Macht auszuüben, ist für sie faszinierend.» Auch würden die Täterinnen und Täter ihr Verhalten nicht als Mobbing bezeichnen, sondern es mit Handlungen anderer rechtfertigen und bagatellisieren. «Grund dafür ist, dass sie die Auswirkungen auf das Gegenüber unterschätzen.» In einer Gruppe fühlten sie sich stark und vor einem Publikum sinke zudem die Hemmschwelle: «Man will dazugehören und etwas durchziehen.»
Schule will mit Präventionsangeboten Mobbing verhindern
In der Schule werde versucht zu verhindern, dass es überhaupt erst zu Mobbing komme, so Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands (ZLV). «Dafür gibt es heutzutage viele Präventionsangebote, von denen die Schulen Gebrauch machen.»
Werde ein Kind dennoch von einer Gruppe angegangen, müsse man mit allen Beteiligten nach Konfliktlösungen suchen. Im Gespräch werde die Situation angeschaut und versucht, das Vorgefallene zu klären. «Bei der Prävention und frühen Interventionen steht im Vordergrund, dass man die Betroffenen nicht in Opfer-Täter-Rollen drängt, sondern darauf setzt, ein Helfersystem aufzubauen», so Hugi.
Bei schweren Fällen müssten aber Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter oder auch externe Personen wie beispielsweise Fachkräfte der Fachstelle für Gewaltprävention zur Konfliktbewältigung hinzugezogen werden. «Bei strafrechtlich relevanten Fällen ist die Ausgangslage nochmals ganz anders und ebenso die Konsequenzen. Hierfür sind aber nicht die Schulen, sondern die Strafverfolgungsbehörden zuständig.»
Kinder schon ab 10 Jahren strafmündig
Laut Anne-Catherine Sturzenegger, Rechtsanwältin bei Turicum Legal AG, ist in der Schweiz für Jugendliche ab dem vollendeten zehnten Altersjahr bis zum vollendeten 18. Altersjahr das Jugendstrafrecht anwendbar. Sturzenegger erklärt, dass beim Jugendstrafrecht Schutzmassnahmen oder Strafen angeordnet werden können, wobei erstere Vorrang hätten. Doch: «Sofern es sich bei der Straftat um eine alters- und entwicklungsadäquate Grenzüberschreitung handelt und der oder die Jugendliche schuldhaft gehandelt hat, kann auch zusätzlich eine Strafe ausgesprochen werden.»
Das Jugendstrafgesetz unterscheidet vier Arten von Strafen: den Verweis als eine Art «Gelbe Karte» mit potenzieller Auferlegung einer Probezeit, die persönliche Leistung zugunsten von beispielsweise sozialen Einrichtungen, die Busse bis maximal 2000 Franken oder den Freiheitsentzug. «Der Freiheitsentzug kann bei über 15-Jährigen auf maximal ein Jahr, bei über 16-Jährigen unter gewissen Voraussetzungen bis zu vier Jahre angeordnet werden», so Sturzenegger. Alternativ bestehe im Kanton ZH unter gewissen Voraussetzungen auch die Möglichkeit, dass der Konflikt mittels einer freiwilligen Mediation durch eine neutrale Person ausser- und vorgerichtlich geschlichtet werden könnte. Genau liesse sich der Fall aufgrund fehlender Aktenkenntnis jedoch nicht beurteilen, so die Einschätzung der Rechtsanwältin abschliessend.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine Depression?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
VASK, regionale Vereine für Angehörige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Angst- und Panikhilfe Schweiz, Tel. 0848 801 109
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