Neonazi-«Verschwörung»Obama-Komplott für US-Medien (fast) kein Thema
Die angebliche Verschwörung von zwei Neonazis zur Ermordung von Barack Obama wirft hohe Wellen – in Europas Medien. In den USA dagegen wird das Thema auf kleiner Flamme gekocht. Was steckt dahinter?
- von
- Peter Blunschi
Die Diskrepanz war nicht zu übersehen: Auf den Websites europäischer Medien wurde am Dienstagmorgen im grossen Stil mit Fotos und Video über die jungen Neonazis Daniel Cowart und Paul Schlesselman berichtet, die angeblich ein Massaker an schwarzen Schülern verüben und anschliessend den schwarzen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama umbringen wollten. Selbst auf «NZZ Online» war es das Topthema.
Auf der Homepage der «New York Times» hingegen fand sich nur gerade ein kleiner, einzeiliger Link, der zur entsprechenden Story führte. Das gleiche Bild präsentierte sich auf fast allen Websites grosser US-Medien. Auch auf den Frontseiten der Zeitungen fand das Thema praktisch nicht statt - die «New York Times» berichtete auf Seite 14. Nur Revolverblätter wie die «New York Post» machten gross mit den Neonazis auf. Ein erstaunlicher Befund angesichts der vermeintlichen Brisanz des Themas in der Endphase dieses heissen Wahlkampfs.
Dilettantische Verschwörer
Für den Medien- und USA-Experten Peter Studer gibt es zwei Erklärungen, weshalb die amerikanischen Medien dermassen diskret berichten: «Es könnte sein, dass sie keine Nachahmungstäter motivieren wollen», sagte Studer, bis letztes Jahr Präsident des Schweizerischen Presserats und ehemaliger USA-Korrespondent und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger», auf Anfrage von 20 Minuten Online. Für wahrscheinlicher hält er aber eine andere Version: «Der angebliche Anschlag befand sich in einem extrem vagen Planungsstadium, der Realitätsgehalt war an einem kleinen Ort.»
Dafür sprechen neue Erkenntnisse: So entpuppt sich die vermeintliche Verschwörung immer mehr als Hirngespinst der beiden Neonazis. Erst vor rund einem Monat hatten sich Cowart und Schlesselman im Internet kennengelernt. Den Mord an Obama wollten sie angeblich in weissen Smokings verüben. Und am 22. Oktober, dem Tag ihrer Verhaftung, verhielten sie sich extrem dilettantisch: Erst zerschossen sie ein Kirchenfenster in Brownsville (Tennessee), dann malten sie mit Kreide ein Hakenkreuz und andere Nazi-Symbole auf die Kühlerhaube ihres Autos, so die «Washington Post».
Secret Service wusste von nichts
Das spricht kaum für eine ausgefeilte Verschwörung, entsprechend wurde der Mordplan von den Behörden beurteilt. Wie ein hochrangiger Obama-Mitarbeiter gegenüber «ABC News» erklärte, wurden nicht einmal die Bodyguards des Secret Service, die den Kandidaten bereits seit Mai 2007 bewachen, darüber informiert. Dies zeige, dass «niemals eine ernsthafte Bedrohung bestanden hat», sagte der Mitarbeiter.
Die US-Medien teilten anscheinend diese Einschätzung und berichteten auf entsprechend kleinem Feuer. Auch die heikle Endphase des Wahlkampfs könnte dazu beigetragen haben, das Thema niedertourig abzuhandeln. Peter Studer glaubt allerdings nicht, dass dies eine Rolle spielte: «Wäre wirklich etwas an der Sache dran gewesen, hätte sich eine grössere Berichterstattung nicht vermeiden lassen.»
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