Wie weiter nach dem Brexit?: «Ohne direkte Demokratie droht der EU das Ende»

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Wie weiter nach dem Brexit?«Ohne direkte Demokratie droht der EU das Ende»

Nach dem Brexit müsse die Union dringend reformiert werden, sagen Experten. EU-Parlamentarier dagegen plädieren für mehr Repression.

D. Pomper
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D. Pomper
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Nach dem Austritt Grossbritanniens aus der EU stellt sich ihr die Frage: Wie verhindert sie den Austritt weiterer Staaten: Mit Repression oder Reformen?

Nach dem Austritt Grossbritanniens aus der EU stellt sich ihr die Frage: Wie verhindert sie den Austritt weiterer Staaten: Mit Repression oder Reformen?

epa/Alkis Konstantinidis (epa, Keyst
EU-Parlamentarier und Frankreich wollen an den Briten ein Exempel statuieren. Im Bild: Der französische Präsident François Hollande.

EU-Parlamentarier und Frankreich wollen an den Briten ein Exempel statuieren. Im Bild: Der französische Präsident François Hollande.

epa/Etienne Laurent
Die ehemalige EU-Abgeordnete Doris Pack (CDU) sagt zu 20 Minuten: «Die Briten sollen zu spüren bekommen, was es bedeutet, nicht mehr in der EU zu sein.» Der Brexit werde andere EU-Länder abschrecken, es Grossbritannien gleichzutun: «EU-Skeptikern in anderen Ländern wird nun vor Augen geführt, was man sich für grosse Probleme mit einem EU-Austritt einhandelt. Sie werden sehen, dass es besser ist, in der EU zu bleiben.»

Die ehemalige EU-Abgeordnete Doris Pack (CDU) sagt zu 20 Minuten: «Die Briten sollen zu spüren bekommen, was es bedeutet, nicht mehr in der EU zu sein.» Der Brexit werde andere EU-Länder abschrecken, es Grossbritannien gleichzutun: «EU-Skeptikern in anderen Ländern wird nun vor Augen geführt, was man sich für grosse Probleme mit einem EU-Austritt einhandelt. Sie werden sehen, dass es besser ist, in der EU zu bleiben.»

AP/Visar Kryeziu

Kaum hat Grossbritannien für den Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt, macht die EU Druck. EU-Parlamentarier wollen den britischen Premier David Cameron auffordern, den Austrittswunsch bereits am Dienstag am EU-Gipfel zu deponieren und damit das Austrittsverfahren zu starten. Die Franzosen drängen ebenfalls auf Tempo und möchten an den Briten ein Exempel statuieren, schreibt der «Tagesanzeiger».

Auch die ehemalige EU-Abgeordnete Doris Pack (CDU) hofft, dass es in den nächsten zwei Monaten in Grossbritannien zu einer Abstimmung im Parlament kommt. «Man kann das nicht ewig hinauszögern. Es muss klar sein: Wer austritt, der tritt aus – mit allen Konsequenzen. Die Briten sollen zu spüren bekommen, was es bedeutet, nicht mehr in der EU zu sein», sagt Pack zu 20 Minuten. Der Brexit werde andere EU-Länder abschrecken, es Grossbritannien gleichzutun: «EU-Skeptikern in anderen Ländern wird nun vor Augen geführt, was man sich für grosse Probleme mit einem EU-Austritt einhandelt. Sie werden sehen, dass es besser ist, in der EU zu bleiben.»

Der Brexit werde für Grossbritannien gravierende Folgen haben. Das ist inzwischen auch den meisten Briten bewusst, weshalb manche Brexit-Befürworter ihren Entscheid bereits bereuen. «Jetzt merken sie, dass sie von den Populisten manipuliert wurden. Sie brauchen nur dem Chef der rechten Ukip-Partei Nigel Farage zuzuhören, der von seinen Versprechungen schon abgerückt ist.»

«Europa der Regierungen» muss zum «Europa der Bürger» werden

Der ehemalige deutsche EU-Abgeordnete Gerald Häfner (Grüne) und Gründer der Stiftung «Mehr Demokratie» dagegen warnt davor, «das Protestvotum der Bürger» zu ignorieren: «Die Abstimmung hat gezeigt, dass immer mehr Bürger Europa nicht als ‹ihr› Europa, sondern als ein Europa ‹von oben› erleben. Als ein intransparentes, abgehobenes Europa, auf welches sie als normale Bürger keinen substanziellen Einfluss ausüben können.»

Europa sei nach dem zweiten Weltkrieg als «Veranstaltung von Regierungsvertretern» entstanden. «Doch sie haben es trotz Einführung des Europäischen Parlamentes verpasst, das ‹Europa der Regierungen› zu einem echten ‹Europa der Bürger› zu verwandeln. Die Eliten verhandeln und der Bürger schaut zu. Das ist heute schlicht nicht mehr akzeptabel», sagt Häfner.

«Politiker müssen Demut zeigen»

Häfner hofft, dass der Brexit den Beginn eines «grundlegenden Umdenkens» markiert: «Das ist hoffentlich der Anfang vom Ende des vormundschaftlichen, zentralistischen Europas. Und der Beginn eines demokratischen Europas der Bürger. Die EU muss die direkte Demokratie einführen.» Doch dafür müssten die Politiker Demut zeigen: «Mächtige Politiker haben oft das Gefühl, über der Bevölkerung zu stehen. Dabei müssen sie begreifen, dass sie in Wahrheit unter ihr stehen und den Menschen dienen müssen.»

«Reformiert sich die EU nicht, wird die Wut der Bürger wachsen und antieuropäische Strömungen werden in den Mitgliedstaaten Oberwasser gewinnen. Weitere Staaten könnten die EU verlassen, dann droht der EU das Ende», warnt Häfner. «Dabei wäre es fatal, wenn Europa an seiner Reformunfähigkeit zugrunde gehen würde.» Wie die EU reformiert werden könnte, hat die Stiftung in einem Positionspapier detailliert erläutert (siehe Box). Zeige sie sich aber reformwillig, könnte endlich «das schlanke und demokratische Europa der Bürger entstehen, das dieser Kontinent und seine Bürger verdient haben», sagt Häfner.

«Demokratiedefizit ist eine Erfindung»

Tatsächlich scheint Bewegung in die ganze Sache zu kommen. Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron schlug am Samstag den Entwurf eines neuen "Europa-Projekts" und die Abstimmung darüber in einem Referendum vor. Die Wähler in der Europäischen Union müssten stärker einbezogen und nach ihrer Meinung befragt werden, sagte Macron. «Wir würden zuerst dieses neue Projekt zusammen mit den europäischen Völkern erstellen und dann diesen neuen Fahrplan, dieses neue Projekt, zum Volksentscheid vorlegen», sagte er.

Viele Europa-Politiker dürften allerdings nach wie vor die Meinung der ehemaligen EU-Politikerin Doris Pack teilen, die sagt: «Den Brexit als Anlass zu nehmen, über eine Reform der EU nachzudenken, ist unnötig. Das vermeintliche Bürokratiemonster EU ist eine Erfindung der Populisten und Medien, das der Normalbürger, der sich nicht jeden Tag mit Politik befasst, für Realität hält. Ebenso wie das angebliche Demokratiedefizit. Wir haben zwei Kammern, die bestens funktionieren.»

Das neue Europa - demokratisch, schlank, dezentral

Der deutsche Verein Mehr Demokratie hat ein Positionspapier mit dem Titel Europa neu denken und gestalten. Vorschläge für eine Neubegründung der EU veröffentlicht. Das neue Europa solle demokratisch, schlank und dezentral sein. Dazu brauche man eine Diskussion über eine Neuverteilung der Macht zwischen den vier politischen Ebenen Kommunen, Regionen, Nationalstaaten, EU. Das Ziel müsse dabei sein, wieder mehr Kompetenzen an die Ebenen zurückzugeben, die den Menschen näher sind. Die Macht auf EU-Ebene würden ausserdem eine stärkeren Legitimation als bisher bedürfen. Die Autoren schlagen folgende Stützpfeiler für ein neues Europa vor:

1. Stützpfeiler: eine von den Bürgern verabschiedete EU-Verfassung

2. Stützpfeiler: demokratisch legitimierte Institution

3. Stützpfeiler: Direkte Demokratie einführen

4. Stützpfeiler: Dezentralität und Regionalisierung

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