Missbrauch in der Sekte«Oktar hat in der Schweiz hunderte Anhänger»
Der türkische Sekten-Anführer Adnan Oktar soll eine 15-Jährige aus der Schweiz missbraucht haben. Ein Experte erklärt die Bewegung.
- von
- ehs
Sektenexperte Georg Schmid sagt, wie erfolgreich die Bewegung des Sektenführers Adnan Oktar ist, der eine heute 15-jährige Schweizerin festhielt, wie seine Anhänger in der Schweiz vorgehen und wie es mit der Bewegung nach seiner Verhaftung weitergeht.
Herr Schmid, türkische Behörden haben den Sektenführer Adnan Oktar verhaftet. Wofür steht seine Bewegung?
Oktar vertritt einen islamischen Kreationismus. Er versucht, Aussagen aus dem Koran mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu kombinieren – wie dies protestantische Fundamentalisten mit der Bibel tun.
Auf Social Media folgen Oktar Tausende, die Bewegung besitzt ihren eigenen Fernsehsender. Wie gross ist ihr Rückhalt?
Für liberale Muslime ist diese Ideologie kein Thema, und auch konservative Muslime spricht sie kaum an, weil diese der westlichen Wissenschaft generell kritisch gegenüberstehen. In der Türkei gibt es allerdings eine breite Strömung, die westliche Wissenschaft mit dem Islam verbinden will. Dort hat er durchaus Anhänger.
Die Bewegung ist auch in der Schweiz aktiv. Wie schätzen Sie den Rückhalt ein?
Oktar hat immer wieder Vorträge in der Schweiz gehalten, zu denen hunderte Zuhörer kamen. Die meisten von ihnen dürften nach meinen Beobachtungen einen türkischstämmigen Hintergrund haben. Die Anhänger treten sehr missionarisch auf. Die Werbung für den Islam gehört zur Bewegung dazu.
Nun wurde Oktar verhaftet – wegen sexuellen Missbrauchs, Entführung und Geldwäsche. Sind Sie überrascht?
Aus seiner Tätigkeit lässt sich das auf jeden Fall nicht ableiten und es gab auch keine Indizien dafür. Das sind negative Seiten von Personen, die unabhängig von der Weltanschauung überall auftreten können.
Serra M., das Schweizer Opfer von Oktar, spricht von Drohungen, die Schweizer Anhänger ausgesprochen hätten.
Das ist bei radikalen Gemeinschaften nicht unüblich, wenn Schattenseiten von Führungspersonen in der Öffentlichkeit bekannt werden.
Wie geht es mit der Gemeinschaft nun weiter?
Durch solche Vorfälle wird das Image religiöser Gemeinschaften massiv geschädigt. Die Bewegung wird – auch in der Schweiz – höchstwahrscheinlich geschwächt. Die Inhalte könnte auch ein anderer weiterverbreiten. Die Frage ist aber, ob sich jemand findet, der das gleiche Charisma hat und die Leute bei der Stange halten kann. Denkbar wäre auch, dass die Organisation nun in mehrere kleinere Bewegungen auseinanderbricht.

Georg O. Schmid
Schmid ist Religionsexperte und Leiter der Informationsstelle Relinfo, die über religiöse und weltanschauliche Bewegungen recherchiert und informiert.