Ringier-LeaksParteispitze schweigt – hat die SP genug von Bersets Skandalen?
Alain Berset hat schwierige Zeiten hinter sich, wurde bisher aber immer vehement verteidigt. Nun schweigt die SP-Spitze. Hinter den Kulissen dürfte es laut Beobachtern brodeln.
Darum gehts
Am Wochenende kam heraus, dass Alain Bersets früherer Chefsprecher die Ringier-Spitze während Corona direkt mit vertraulichen Informationen belieferte.
SP-Mitglieder schweigen dazu, auch die Parteispitze sagt nichts.
Am Montag äusserte sich mit Fabian Molina erstmals ein SP-Nationalrat dazu. Molina verteidigt Berset, sagt aber auch, die Vorwürfe müssten aufgearbeitet werden.
Für einen Kommunikationsspezialisten ist klar: Der SP-Spitze ist es peinlich, Berset erneut für einen Skandal verteidigen zu müssen.
Die Kritik am frisch gewählten Bundespräsident Alain Berset (SP) reisst nicht ab. Berset machte in den vergangenen Monaten mehrfach negative Schlagzeilen (siehe unten). Mit dem Corona-Leak geht es im neuen Jahr mit ähnlich negativen Tönen weiter. Bersets Kommunikationschef soll Ringier-CEO Marc Walder mehrfach mit vertraulichen Informationen zu Entscheiden in der Corona-Zeit versorgt haben. Die Ringier-Führung hat die Vorwürfe gegenüber der Redaktion am Montag dementiert.
Während SP-Mitglieder, auch die Parteispitze, Alain Berset in der Vergangenheit in solchen Fällen schnell und heftig verteidigten, schweigen sie nach den neusten Entwicklungen. Weder Co-Parteipräsident Cédric Wermuth noch Fraktionschef Roger Nordmann beantwortet eine Anfrage. Auch diverse andere SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier schweigen auf Anfrage, in Social-Media-Kanälen vernimmt man von ihnen nichts.
Molina: «Vorwürfe sind sehr unerfreulich»
Am Montagnachmittag reagiert SP-Nationalrat Fabian Molina auf Anfrage von 20 Minuten: Der Grund, warum die SP-Spitze Berset diesmal nicht persönlich verteidige, sei folgender: «Alain Berset wurde sehr oft angegriffen in den letzten Monaten, und immer haben sich die Vorwürfe nachträglich in Luft aufgelöst.» Man habe deshalb eine gewisse Erfahrung und wolle nicht mehr jeden Fall kommentieren. «Es ist aber klar, dass diese Vorwürfe untersucht werden müssen, das geschieht im Rahmen der Geschäftsprüfungskommission und als Mitglied der GPK nehme deshalb ich Stellung.»
Wer ist dein Lieblings-Bundesrat oder deine Lieblings-Bundesrätin?
Wenn die Vorwürfe stimmten, dann sei das «sehr schlecht». Auf die juristische Ebene könne die Politik keinen Einfluss nehmen, hier müsse man das Verfahren abwarten. Das Kommissions- oder Amtsgeheimnis zu brechen, ist eine Straftat und wird nötigenfalls durch die Justiz geahndet.
«Dass ich es nicht gut fände, wenn das wirklich so geschehen ist, wie von den CH-Media-Zeitungen beschrieben, ist klar.» Dennoch werde man klären müssen, wer die grösste Verantwortung trage. Falls es tatsächlich zu der dargestellten Zusammenarbeit zwischen EDI und Ringier gekommen sei, hätte Alain Berset das wissen müssen, sagt Molina. «Doch das ist reine Spekulation.» Auf die Frage, ob die Sache der SP schade, sagt Molina: «Ich glaube es nicht. Aber natürlich sind die Vorwürfe sehr unerfreulich.»
Krisen-Experte: «Der SP-Spitze ist das peinlich»
Für Krisenkommunikator Beat Krättli ist klar: «Der SP-Spitze ist es peinlich, zum nächsten Berset-Skandal Stellung zu nehmen.» Bei Einzelfällen könne man das jeweils noch kommentieren und herunterspielen. «Doch dieser Fall ist der eine zu viel und er hat eine neue Dimension: Es geht um eine Amtsgeheimnisverletzung. Entweder hat Berset seinen Laden nicht im Griff und wusste nicht, was sein Kommunikationschef gemacht hat, oder er wusste davon und lügt jetzt. Beides kann man nicht schönreden. Das weiss auch die SP-Spitze.»
Diese Kommunikationsstrategie ist für Krättli «ein Eiertanz, aber im Moment die einzige, die sie haben». Ob Berset es gewusst habe oder nicht, sei irrelevant. «Seine Glaubwürdigkeit hat unter all den Vorkommnissen so oder so gelitten.» Es sei ein grundsätzliches Problem in der Politik, dass man mit Anfeindungen schnell zur Stelle sei, während man auf einem Auge blind sei, wenn es um die eigene Partei gehe. Intern werde Berset der SP-Spitze aber sicher Rede und Antwort stehen müssen.
«Euphorie, Berset zu verteidigen, hat nachgelassen»
Politgeograf Michael Hermann glaubt, dass Berset seinen Star-Status eingebüsst hat. «Er hat nicht mehr das Image des starken und beim Volk beliebten Mannes, das ihm während der Pandemie anhaftete.» Zudem wurden mit den Bundesratswahlen die Weichen neu gestellt, es hat nun einen Westschweizer zu viel im Bundesrat. Und Berset wurde mit einem schlechten Resultat zum Bundesrat gewählt.
Der neuste Skandal sei ausserdem nicht privater Natur wie die früheren Angelegenheiten. Der Verweis auf die Privatsphäre habe es der Partei einfacher gemacht, ihn zu verteidigen. Jetzt sei es von öffentlichem Interesse. Die Euphorie, Berset zu verteidigen, habe in der SP wohl nachgelassen, sagt Hermann. «Sich verteidigen zu müssen, kostet immer auch Ressourcen.»
Die Chronologie der Berset-Skandale
Alain Berset kommt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Eine Auswahl der Vorwürfe der letzten zwei Jahre:
Lonza-Debakel im Herbst 2021
Das Schweizer Chemie- und Pharmaunternehmen Lonza hatte dem Bund 2020 die Beteiligung bei der Covid-Impfstoffproduktion angeboten. Berset verzichtete jedoch auf eine finanzielle Unterstützung der Produktion, ohne dabei das Parlament über die Gespräche zu informieren.
Erpressungs-Affäre im Sommer 2022
Mit Fotos und E-Mails versuchte eine ehemalige Geliebte von Bundesrat Berset im Dezember 2019, diesen zu erpressen. Er reichte eine Strafanzeige ein, eine Sondereinheit verhaftete die Frau. Unter Berufung auf geheime Strafakten erhob die «Weltwoche» weitere Vorwürfe: Berset habe Falschaussagen gemacht und die Bundesanwaltschaft, das Fedpol und seinen Stab für diese private Angelegenheit genutzt. Ein Bericht der Geschäftsprüfungskommission des National- und Ständerats entlastete den SP-Bundesrat – er habe sich nichts zuschulden kommen lassen.
Antennen-Geschichte im Herbst 2022
2018 hätte im freiburgischen Belfaux eine Handy-Antenne der Swisscom gebaut werden sollen. Doch die Anwohnenden erhoben Einspruch – darunter auch Bundesrat Berset. Die Swisscom liess das Projekt daraufhin fallen.
Privatflugzeug-Affäre Herbst 2022
Berset hatte im Sommer 2022 als Hobbypilot in Frankreich einen Einsatz der Luftpolizei verursacht, weil er über ein militärisches Sperrgebiet geflogen war. Letztendlich stellte sich heraus, dass die französische Luftsicherheit den Bundesrat falsch angefunkt hatte. (pir)
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