Patientenschützerin vor Gericht
Die oberste Schweizer Patientenschützerin, Margrit Kessler, soll wegen Verleumdung des St. Galler Chefarztes Jochen Lange zu 14 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt werden.
Dies forderte der Staatsanwalt am Dienstag vor dem Kreisgericht in St. Gallen. Kessler hielt an den Vorwürfen fest. Ihr Verteidiger forderte einen Freispruch.
Die Angeklagte hielt in der Befragung durch Gerichtspräsidentin Brigitta Vogel an ihrem Vorwurf fest, der Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals St. Gallen habe unerlaubt Forschung betrieben und unethisch gehandelt. Sie habe aber nie eine Kampagne gegen Lange geplant. Sie habe nur auf Missstände an der Klinik hingewiesen.
Der Verteidiger forderte für seine Mandantin in allen Anklagepunkten Freispruch oder Nichteintreten. Das Verfahren weise grosse Mängel auf. Zudem sei ein Teil der Anschuldigungen bereits verjährt. Er warf dem Untersuchungsrichter vor, er habe sich «einseifen lassen» und sich zu einem leidenschaftlichen Verteidiger des Chefarztes entwickelt.
Staatsanwalt Christian Abegg beharrte seinerseits auf seinem Strafantrag von 14 Monaten Gefängnis bedingt und einer Busse von 5.000 Franken. Die Angeklagte habe wissentlich und willentlich Unwahrheiten verbreitet und die Klinik in Misskredit sowie Lange zu Fall bringen wollen. Die Vertreterin der Zivilklage verlangte einen Schadenersatz von 35.540 Franken und eine Genugtuung von 40.000 Franken. Das Urteil wird frühestens am kommenden Freitag erwartet.
Mit dem hohen Strafantrag gegen die oberste Patientenschützerin erntete die St. Galler Staatsanwaltschaft im Vorfeld des Prozesses Kritik. Diese wolle den Patientenschutz mundtot machen und den Ärztefilz schützen, hiess es. Im September 1999 hatte die Anklagekammer ein Strafverfahren gegen Lange eröffnet. Der Chirurg hatte 1998 eine Patientin mit der Chemikalie Methylenblau behandelt, die damals erst an Ratten erprobt war. Nach fünftägigem Koma starb die Patientin. Kessler brachte im Februar 1999 den Methylenblau-Fall ins Rollen und warf Lange unerlaubte Forschung und unethisches Verhalten vor. Gegen Lange wurde Anklage wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung erhoben. Dieser Prozess ist auf den kommenden 12. April angesetzt. (dapd)