«Religiöse = geisteskrank»Piratenchef Bruderer entfacht Shitstorm
Für Thomas Bruderer ist Religion eine Geisteskrankheit. Die Aussage sorgt innerhalb seiner Piratenpartei für Wirbel – lässt aber auch die Mitgliederzahl ansteigen.
- von
- Simon Hehli

In Anlehnung an Goethes Faust spricht Thomas Bruderer von «Gretchengate»: Seine harsche Religionskritik löste inner- und ausserhalb der Piratenpartei rege Diskussionen aus.
Dass die Evangelikalen an Thomas Bruderers harter Religionskritik keine Freude haben würden, war zu erwarten. Der Chef der Piratenpartei sei zu weit gegangen und beleidige andersdenkende Menschen, schreibt die Schweizerische Evangelische Allianz. Doch auch innerhalb der Partei gibt es Kritik.
Michael Gregr, Präsident der Zürcher Kantonalpartei, spricht von einem veritablen Shitstorm: Nach dem Artikel seien Hunderte E-Mails hin- und hergeschickt worden und auch auf Twitter habe es einen Schlagabtausch unter den Piraten gegeben. «Viele Mitglieder fragen sich, ob Provokationen der Aussenwirkung nicht mehr schaden als nützen.» In diese Richtung äussert sich etwa der Berner Kantonalpräsident Sven Widmer gegenüber 20 Minuten Online: «Ich halte es nicht für sinnvoll, solche Aussagen öffentlich zu machen.»
Nicht nur Religion ist Massenpsychose
Michael Gregr hingegen ist froh um die Debatte, die Bruderer ausgelöst hat. Er sagt, es gebe in der heutigen Gesellschaft tragischerweise keine andere Möglichkeit, als mit Provokationen auf ein Thema aufmerksam zu machen. Innerhalb der Partei funktioniere eine Arbeitsteilung: Bruderer sorge für Aufmerksamkeit, andere Mitglieder wie er selber würden dann die Debatte versachlichen, sagt der Zürcher mit Soziologieabschluss.
Wenn Gregr über das «komplexe Thema» Religion spricht, tönt das differenziert: «Pointierte Religionskritik ist ein Erbe der Aufklärung, genauso wie die Kultur- oder Gesellschaftskritik. Religion kann gewisse massenpsychotische Aspekte haben, aber das gilt auch für andere soziale Phänomene – etwa totalitäre Systeme von links oder rechts.»
Beim Laizismus sind sich alle einig
Weniger provokativ als Bruderer äussert sich auch sein Vorgänger an der Parteispitze, Denis Simonet: «Man kann nicht generell sagen, dass alle Religiösen geisteskrank sind.» Diese moderate Meinung teile innerhalb der Partei wohl eine Mehrheit, glaubt der Informatikstudent. Einig seien sich die Piraten aber in ihrer Forderung nach einer Trennung von Staat und Religion.
Simonet, der inzwischen Mediensprecher der Piraten ist, stört sich daran, dass der Staat nach wie vor die Steuern für die Landeskirchen einzieht. Laizismus müsse zudem in der Schule gelebt werden: «Es braucht einen humanistisch geprägten Unterricht über die Religion, der dem Kind eine Entscheidungsgrundlage gibt, ob und was es glauben will.»
Mehrheit der Leser gibt Bruderer recht
Thomas Bruderers ketzerische Aussagen haben nicht nur parteiintern für Aufsehen gesorgt: Die Piraten haben auch mehrere religionskritische Neumitglieder an Bord holen können, wie Denis Simonet sagt. Austritte hingegen seien ihm keine bekannt.
Ein Blick auf die Umfrage von 20 Minuten Online zeigt, dass die Piraten sich nicht allzu grosse Sorgen um negative Folgen der Attacken ihres Chefs machen müssen: Von den 5500 Teilnehmern gibt ein Viertel Bruderer voll und ganz recht. 37 Prozent finden, die Worte seien etwas hart, aber die Richtung stimme. Nur 39 Prozent sagen, die Aussagen seien eine Frechheit.