Deutsche BundestagswahlPiratenpartei wächst explosionsartig
Die deutsche Piratenpartei ist gegen Sperren im Computernetz, gegen Datensammlungen von Behörden und gegen enge Kopierverbote von Musik- oder Filmfirmen - und sie hat damit grossen Erfolg.
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- Claus-Peter Tiemann/AP
Bei der Gründung einer Partei muss es auch mal schnell gehen. Als ein paar Mitglieder der Piratenpartei bei einer Aktion in der Hamburger Fussgängerzone keinen Besenstiel für ihre Fahne haben, muss ein hurtig besorgter Ast das orangene Tuch hochhalten. «Vieles bei uns geht sehr schnell», sagt Wahlkämpfer Michael Jungierek zwischen zwei verteilten Flyern. Dann muss er auch schon los: Zum wöchentlichen Treffen der Piratenpartei, das wegen Besucheransturm von einer Kneipe in einen grossen Musikclub verlegt wurde.
Wie in Hamburg geht es der Piratenpartei an vielen Orten: Geradezu explosionsartig wächst die Zahl der Parteimitglieder und Unterstützer. Im Februar hatte die 2006 gegründete Partei noch 870 Mitglieder, inzwischen meldet sie rund 8800.
Parteileben findet im Internet statt
Der grosse Schub kam im Sommer, nachdem die schwedische Piratenpartei unter dem Eindruck von Haftstrafen gegen die Betreiber der Internetplattform Pirate Bay bei der Europawahl 7,4 Prozent der Stimmen holten - in Deutschland waren es immerhin 0,9 Prozent. Und bei der Landtagswahl in Sachsen kamen die Piraten auf 1,9 Prozent. Bei der Bundestagswahl tritt die Partei nach eigenen Angaben in allen Bundesländern bis auf Sachsen an.
Gegründet wurde die Piratenpartei Deutschland im September 2006 in Berlin. Ein grosser Teil des Parteilebens spielt sich im Internet ab: In einem sogenannten Wiki, einer Art Diskussionsforum, entwickeln die Mitglieder die Positionen der Partei.
Auch in der Schweiz wurde im Sommer 2009 eine Piratenpartei gegründet.
Reine Themenpartei
Bisher geht es vor allem um Freiheitsrechte, meist rund um das Internet. So wenden sie sich gegen Sperren im Computernetz, gegen Datensammlungen von Behörden, gegen enge Kopierverbote von Musik- oder Filmfirmen. Fallen sollen Beschränkungen bei der Weitergabe von geistigem Eigentum: So sollen Patentrechte eingeschränkt und Urheberschutz geändert werden. Ausserdem fordert die Piratenpartei bessere Schulen und Universitäten und weniger öffentliche Videoüberwachung.
Bei grossen Politikfeldern fehlt noch eine programmatische Festlegung der Piraten: Soziales, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Bundeswehr. Für die junge Partei kein Problem: «Zum heutigen Zeitpunkt sind wir eine reine Themenpartei. Eine offizielle Position der Partei zu herkömmlichen politischen Themen gibt es nicht. Aber wir arbeiten daran», heisst es auf der Internetseite.
Ärger über staatliche Eingriffe
Im echten Leben sind die Piraten meist jung, männlich, deutsch und Computer-orientiert. So wie der Hamburger Jungierek eben, der aus Ärger über staatliche Eingriffe im Internet zu der Partei kam. «Diese Themen haben mich schon lange beschäftigt, ich habe mich einfach von der Piratenpartei angesprochen gefühlt», sagt er.
Der Begriff der Piraten kommt ursprünglich von der Musik- und Filmindustrie, die illegale Kopierer so bezeichnet. Die Partei nahm den Begriff nach eigenen Angaben auf. Ähnliche Piratenparteien gibt es in mehreren Ländern Europas.
Problemfall Tauss
Stärker bekannt wurde die Partei in Deutschland, nachdem der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss Ende Juni aus der SPD austrat und zur Piratenpartei wechselte. Offizieller Grund war der Protest gegen die Verabschiedung des Gesetzes gegen Kinderpornografie im Internet. Tauss selbst steht unter Kinderporno-Verdacht.
Nach Aufhebung der Immunität hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Anklage gegen den 56-Jährigen erhoben. Er soll kinderpornografische und jugendpornografische Dateien besessen haben. Tauss hatte den Besitz des Materials eingeräumt, aber betont, er habe als Bundestagsabgeordneter im Zusammenhang mit einem Kinderporno-Ring recherchiert. Die Piratenpartei kritisiert die Anklage. «Ich kann das nur als politisches Wahlkampfmanöver bewerten», wurde der Parteivorsitzende Jens Seipenbusch von der «Mitteldeutschen Zeitung» zitiert.
Lieblingsgegnerin der Piraten ist zur Zeit Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin wird als «Zensursula» hart kritisiert, weil sie das umstrittene Gesetz zur Sperrung von Kinderpornografie im Internet unterstützt. Nach Ansicht der Piratenpartei wird das Grundrecht auf Informationsfreiheit dadurch eingeschränkt, sie spricht von Zensur. Immer wieder tauchen dieser Tage Mitglieder der Piratenpartei bei Wahlveranstaltungen von der Leyens auf.