TürkeiPolitiker-Tweets ruinieren einem Elektriker das Leben
In Istanbul steht ab Mittwoch der Elektriker Ersan Tas vor Gericht. Weder der Bürgermeister von Ankara noch der türkische Staatspräsident konnten wegen seiner Tweets lachen.
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Am Mittwoch beginnt in Istanbul der Prozess gegen Ersan Tas – es ist bereits sein zweiter Gang vor Gericht. Dem 30-jährigen Türken wird Beleidigung des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen. Zuvor hatte die Polizei Tas' Computer beschlagnahmt und dabei Fotomontagen des Präsidenten auf Tas' Laptop entdeckt.
Die Probleme des mittlerweile arbeitslosen Elektrikers begannen vor drei Jahren, wie der Türkei-Korrespondent von Spiegel Online berichtet. Der Elektriker setzte auf seinem Twitter-Konto @06melihchina mit Photoshop bearbeitete Bilder und Witze über Ankaras Bürgermeister Melih Gökcek ab. Mal montierte er den Kopf des AKP-Politikers auf einen nackten Babykörper, mal zeigte er ihn als fröhlichen Mini-Weihnachtsmann.
«Spionin Israels» oder «dumme Blondine»
Obwohl Tas seine Kreationen auf Twitter als Satire deklariert hatte, verging Bürgermeister Gökcek das Lachen: Er zeigte Tas an. Vergangenen Dezember nahm die Polizei den 30-Jährigen an seinem Arbeitsplatz fest, konfiszierte Handy und Laptop. Schliesslich wurde der 30-Jährige wegen der digitalen Attacken gegen Göhcek im März zu einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 3270 Franken verurteilt.
Eine harte Strafe angesichts der Tatsache, dass der Bürgermeister von Ankara auf Twitter selbst kein Blatt vor den Mund nimmt. Täglich — wenn nicht stündlich — teilt er seinen 2,6 Millionen Followern mit, was er von Menschen hält, die ihm nicht besonders genehm sind. So bezeichnete Gökcek einmal eine Journalistin als «Spionin Israels» oder beschimpfte unlängst die Sprecherin des US-Aussenministeriums als «dumme Blondine».
«Ich meinte, das sei in einem demokratischen Land problemlos»
Tas hingegen hat mit weitreichenden Folgen zu kämpfen: So verlor er nach der Verhaftung im Dezember seinen Job. Weil zudem das Urteil des ersten Prozesses auf seinem polizeilichen Führungszeugnis vermerkt sei, finde er so schnell keine neue Anstellung, klagt er. Jetzt muss er damit rechnen, wegen seiner Bildmontagen von Staatspräsident Erdogan am Mittwoch erneut verurteilt zu werden — obwohl er diese Kreationen nie auf Twitter veröffentlicht habe, wie Tas versichert.
Bei einer erneuten hohe Busse droht dem Elektriker laut eigenen Aussagen der finanzielle Ruin. Er scheint entsprechend desillusioniert: «Und ich meinte, satirische Bilder zu posten, sei in einem demokratischen Land völlig problemlos.»