«Problematisch ist, dass der Bundesrat ohnehin viel Macht hatte»

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Vertrauliche Dokumente«Diese Affäre wird Alain Bersets Standing weiter schwächen»

Alain Bersets ehemaliger Chefsprecher soll den Ringier-CEO direkt und vorzeitig über Bundesrats-Geschäfte informiert haben. Das könnte Berset schwächen. 

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Innenminister Alain Berset (SP) ist einmal mehr unter Druck. Bersets früherer Chefsprecher Peter Lauener soll dem Ringier-CEO Marc Walder während der Corona-Pandemie Informationen direkt und vorzeitig zugespielt haben.

Innenminister Alain Berset (SP) ist einmal mehr unter Druck. Bersets früherer Chefsprecher Peter Lauener soll dem Ringier-CEO Marc Walder während der Corona-Pandemie Informationen direkt und vorzeitig zugespielt haben.

20min/Michael Scherrer
Peter Lauener (links), damaliger Kommunikationschef bei Alain Berset, habe in regem Austausch mit dem Ringier-Chef Marc Walder gestanden.

Peter Lauener (links), damaliger Kommunikationschef bei Alain Berset, habe in regem Austausch mit dem Ringier-Chef Marc Walder gestanden.

20min/Simon Glauser
Marc Walder sei jeweils im Vorfeld vertraulich informiert worden, wenn Bundesrats-Entscheide in Sachen Corona-Politik anstanden, schreiben CH-Media-Zeitungen am Wochenende.

Marc Walder sei jeweils im Vorfeld vertraulich informiert worden, wenn Bundesrats-Entscheide in Sachen Corona-Politik anstanden, schreiben CH-Media-Zeitungen am Wochenende.

Tamedia

Darum gehts

  • Der ehemalige Kommunikationschef von Alain Berset habe den CEO von Ringier direkt und vorzeitig über Bundesratsgeschäfte informiert, schreibt CH Media.

  • Bürgerliche Politiker reagieren kritisch, einer fordert gar Bersets Rücktritt.

  • Die Angelegenheit werde Berset weiter schaden, ihn aber nicht ernsthaft gefährden, sagt Politgeograph Michael Hermann.

Innenminister Alain Berset (SP) ist einmal mehr unter Druck. Bersets früherer Chefsprecher Peter Lauener habe dem Ringier-CEO Marc Walder während der Corona-Pandemie Informationen zur Bundesratspolitik direkt und vorzeitig zugespielt, schreiben CH-Media-Zeitungen am Wochenende. 

Sie zitierten aus Mails und Einvernahmeprotokollen. Berset und Lauener waren 2022 im Zuge von Ermittlungen wegen Amtsgeheimnisverletzung befragt worden. Mittlerweile läuft allerdings auch gegen den ermittelnden Staatsanwalt Peter Marti ein Verfahren, nachdem Lauener ihn wegen Amtsmissbrauchs angezeigt hatte.

Den Informationsfluss zwischen Innendepartement (EDI) und Ringier wollte Berset am Wochenende nicht kommentieren. Die Justiz solle ihre Arbeit machen, sagte er im Westschweizer Radio. Gegenüber dem Staatsanwalt habe sich Berset laut CH-Media-Zeitungen unwissend gegeben. Bersets politische Gegner reagieren empört. Was sind die politischen Konsequenzen? 

«Medienpartnerschaft» zwischen EDI und Ringier

Das Spezielle an diesem Fall sei, dass es offenbar eine systematische Zusammenarbeit zwischen Departement und Ringier gab, «eine Art Medienpartnerschaft», sagt Politgeograph Michael Hermann. Das sei problematisch, weil es eine Phase betraf, in welcher der Bundesrat ohnehin sehr viel Macht hatte. Während Corona herrschte zeitweise Notrecht. Problematisch sei auch, dass das Departement Berset mit diesen Indiskretionen eine positive Berichterstattung erwirkt habe. Dass dies funktionierte, zeigte ein vor Jahresfrist publiziertes Video, in dem Marc Walder schilderte, wie er den Ringier-Redaktionen einen regierungstreuen Corona-Kurs vorgab. 

Diese Affäre werde den «politischen Alterungsprozess» von Alain Berset beschleunigen, sagt Michael Hermann. Nach dem schlechten Wahlergebnis zum Bundespräsidenten und den Vorwürfen der vergangenen Monate sei Berset ohnehin angeschlagen, diese Geschichte werde sein Standing in der Partei und im Parlament weiter schwächen. Um sein Amt müsse Berset aber nicht fürchten. «Das Verfahren dauert wahrscheinlich noch länger, damit verzögert sich auch die politische Aufarbeitung. Je länger sie her ist, desto weniger interessiert sie.» Ausserdem sei Berset laut Umfragen der beliebteste Bundesrat – kaum jemand werde im Wahljahr Lust haben, ihn anzugreifen. 

Dennoch, betont Michael Hermann: Die Weitergabe von vertraulichen Informationen sei absolut illegitim. Und die Zusammenarbeit EDI-Ringier sei kein Einzelfall. Die meisten Journalisten lebten von Indiskretionen, so sei auch die Berichterstattung der CH Media nur durch eine eklatante Indiskretion zustande gekommen, die ihrerseits illegal sei. Jemand hat der Redaktion offenbar Einvernahmeprotokolle zugespielt.

«Ironie: Indiskretion wurde durch Indiskretion bekannt»

Das sagt auch Lucas Leemann, Professor an der Universität Zürich und Inhaber von Leewas, die für Tamedia und 20 Minuten Umfragen durchführt. «Die Ironie der Geschichte ist ja, dass die Indiskretion zwischen EDI und Ringier nur durch eine weitere Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangen konnte.» Das sei ebenso falsch wie der ursprüngliche Leak. 

Es sei weder einmalig noch neu, dass Politiker und Leute aus ihrem Umfeld Informationen den Journalisten weitergeben, sagt Leemann. «Im Dezember konnten wir in NZZ und TA lesen, dass Mario Gattiker eine neue Spezialrolle bekommt im EU-Dossier – am Vortag der offiziellen Bekanntgabe. Es stellt sich immer auch die Frage, wer die Information weitergibt und mit welchem Motiv.» Dennoch sei es natürlich falsch, dass der EDI-Sprecher geheime Informationen Ringier weitergegeben habe. Ein Fehlverhalten von Alain Berset könne er aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennen, sagt Leemann.

Insiderhandel?

Mass-Voll fordert Untersuchung

Am Wochenende wurden auch Vorwürfe betreffend Insiderhandel mit Pharma-Wertschriften laut. So schrieb «Inside Paradeplatz», die Pharma-Aktie sei hochgeschossen, als Bersets Sprecher den CEO von Ringier über den bevorstehenden Impf-Deal informiert habe. Schon im März 2021 hatte das Portal geschrieben, dass höchste Kreise der Berner Administration Aktien von Impf-Firmen erworben hätten – wenige Tage, bevor die Schweizer Regierung die Weichen stellte. Die impfkritische Bewegung «Mass-Voll» fordert deshalb eine Untersuchung gegen sämtliche EDI- und Ringier-Mitarbeitenden sowie gegen Bersets engstes Umfeld, wie es in einer Medienmitteilung vom Sonntag heisst. (blu) 

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