WM 2022Verwanzte Hotels und gehackte Handys – so hat Katar die Fifa in Zürich ausspioniert
Eine Investigativrecherche von SRF deckt ein Spionage-Netz auf, das auf mehreren Kontinenten aktiv ist und Dutzende Beteiligte umfasst. Das Millionenbudget soll von der katarischen Regierung gekommen sein.
- von
- Benedikt Hollenstein
Darum gehts
Intolerante Kultur, Tausende tote Gastarbeiter und klimatisierte Stadien in Zeiten der Klimaerwärmung: Die Weltmeisterschaft in Katar, die am 20. November mit der Partie Katar-Ecuador eröffnet wird, steht enorm in der Kritik.
Wie eine Recherche von SRF zeigt, wendet der schwerreiche Gastgeber seit Jahren viel Geld und Personal dafür auf, diese Kritiker so weit wie möglich mundtot zu machen und so einen Wechsel des Gastgeberlandes weg von Katar zu verhindern.
387 Millionen für Spionage
Das Projekt, im Zuge dessen über Jahre hinweg rund um den Globus unzählige hochrangige Fifa-Funktionäre und andere Grössen der Fussballwelt bespitzelt wurden, trage den Namen «Project Merciless», zu Deutsch «Projekt Gnadenlos», so das SRF.
Das erklärte Ziel war, jegliche Gefährdung der WM-Austragung so früh wie möglich zu erkennen und zu eliminieren – notfalls auch mit illegalen Mitteln. Das Geld – «Projekt Gnadenlos» wurde von Katar mit einem Budget von 387 Millionen Dollar bewilligt – kam aus der Staatskasse.
Um die eigene Weste so weit als möglich weiss zu halten, wurde für die Planung und Umsetzung von «Projekt Gnadenlos» die US-Firma Global Risk Advisors (GRA) beauftragt. Hinter dem Unternehmen steht der frühere CIA-Spion Kevin Chalker. Während seiner Zeit beim US-Auslandsgeheimdienst arbeitete er als «Operations Officer», führte also verdeckte Aktionen durch. Auch der Grossteil seiner Angestellten hat einen Geheimdienst-Hintergrund.
Über Jahre mehr als 66 Agenten eingesetzt
Das Ziel von «Projekt Gnadenlos» war eine «worldwide Penetration», also eine weltweite Durchdringung von exklusiven Fussball-Funktionären. Dies geht aus einer von GRA für die katarische Regierung erarbeiteten Präsentation hervor, die hier gelesen werden kann. Um dies zu erreichen, hackten die Spione der Firma mehrere hohe Fifa-Funktionäre. Auf fünf Kontinenten waren GRA-Mitarbeiter aktiv – allein für eine Teiloperation wurden während neun Jahren mindestens 66 Agenten eingesetzt. Auch der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter war ein Ziel.
Wirst du die WM 2022 boykottieren?
Am 5. Januar 2012 erhält der Schweizer Peter Hargitay mehrere merkwürdige E-Mails – der Absender hofft offenbar, dass Hargitay die Anhänge öffnet, startet immer wieder neue Versuche. Der Ex-Berater von Sepp Blatter, der innerhalb der Fifa vor allem als einflussreicher Strippenzieher hinter den Kulissen gilt, hätte zu diesem Zeitpunkt dem australischen Fussballverband helfen sollen, die WM 2022 ins Land zu bringen – damit stellte er aus Sicht von Katar eine Bedrohung dar. Nachdem Hargitay Anzeige erstattet hat, führen die Ermittlungen zur indischen Firma Appin Security.
Diese weist die Vorwürfe von sich – doch die Attacke auf Hargitay ist nur einer von mehreren Hackerangriffen, die die Fingerabdrücke von Appin tragen. Die indische Firma hat die Hacks im Auftrag der katarischen Regierung durchgeführt, wie geheime Dokumente zeigen. Damit sollten belastende Informationen über den Fifa-Insider sowie das potenzielle Gastgeberland Katar gesammelt werden, um die Konkurrenz auszuhebeln.
Verwanzte Zürcher Hotelzimmer
Die Spuren führen vom Zürcher Luxushotel Baur au Lac bis zu Tamim bin Hamad Al Thani, der seit 2013 Emir von Katar und damit faktisch das Staatsoberhaupt ist. Im Rahmen von «Projekt Gnadenlos» gab er damals persönlich die Beschaffung von Anruf- und SMS-Listen mehrerer Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees in Auftrag. GRA-Chef Kevin Chalker reiste derweil im Auftrag von Doha nach Zürich, um dort Hotelzimmer von Journalisten und Exekutivkomitee-Mitgliedern zu verwanzen und heimlich Fotos von Treffen zwischen Fifa-Funktionären und Landesvertretern zu schiessen. Hier soll es auch zum Treffen zwischen Chalker und dem katarischen Auftraggeber Ali Al Thawadi gekommen sein. Thawadi ist mittlerweile Stabschef von Emir Al Thani.
Die Ex-Geheimdienstler scheinen sich wohlzufühlen bei uns: Laut SRF-Informationen hatte ein GRA-Mitarbeiter in den Jahren nach der WM-Vergabe seinen permanenten Aufenthaltsort in der Schweiz – und machte sich mit der Spionage für ein fremdes Land auf Schweizer Boden potenziell strafbar.
Zürcher Ermittlungen versandeten
Doch auch bei der Schweizer Justiz dürften Fehler passiert sein: Obwohl die Zürcher Staatsanwaltschaft zumindest ansatzweise von einer mutmasslichen Aktion des Spionage-Netzwerks gewusst habe, schritten die Ermittlungen kaum voran. So fragte man im Zuge der Anzeige von Hargitay den CEO der indischen Firma Appin an, einige Fragen schriftlich zu beantworten. Dessen Anwalt stimmte zu – doch die Staatsanwältin schickte die Fragen aus unerklärlichen Gründen nie ab.
Nach acht Jahren schloss die Staatsanwaltschaft den Fall dann ab – angeblich wegen unzureichender Ermittlungsansätze. «Eine Einflussnahme auf Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft hat nicht stattgefunden», so ein Sprecher. Der Appin-CEO lebt heute übrigens in der Schweiz – drei Wochen nach Einstellung des Verfahrens kaufte er sich für 13,5 Millionen Franken eine Villa am Genfersee.
Am 20. November rollt erstmals der Ball in Katar – trotz immer lauter werdender Kritik von allen Seiten, auch innerhalb der Fifa-Chefetage. Ob dies auch der Fall gewesen wäre, wenn das mit Hunderten Millionen Dollar unterstützte Spionage-Netzwerk nicht weitreichend Einfluss genommen und Konkurrenten ausgeschaltet hätte, ist höchst fraglich.
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