Psychologin erklärtDeshalb schmerzt es, die eigenen Eltern altern zu sehen
Für viele ist es sehr belastend, seine Eltern altern zu sehen oder pflegen zu müssen. Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello erklärt, weshalb und gibt Rat.
Darum gehts
Es ist der natürliche Lauf des Lebens: Auch die eigenen Eltern werden irgendwann alt und gebrechlich.
Für viele ist das Altern der eigenen Eltern eine emotionale Situation.
Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello erklärt, weshalb das Älterwerden der Eltern schmerzt und wie belastend die allfällige Pflege von ihnen ist.
Frau Perrig-Chiello, weshalb fällt es vielen so schwer, die eigenen Eltern altern zu sehen?
Man muss vom gewohnten und vertrauten Bild seiner Eltern Abschied nehmen. Die Eltern sind dann plötzlich nicht mehr diejenigen, die helfen, sondern die, die Hilfe benötigen. Diese Rollenumkehrung führt häufig zu einer «filialen Krise», wie sie in der Psychologie genannt wird.
Was macht diese Situation so schwierig?
Die meisten befinden sich im mittleren Alter, also zwischen 45 und 60 Jahren, wenn die Eltern zunehmend Hilfe brauchen. Man befindet sich in diesem Alter sowieso schon in einer Umbruchsphase, wo man selbst mit dem Älterwerden konfrontiert wird. Es ist die Zeit der meisten Burnouts und Scheidungen. Zudem befinden sich die Leute zumeist in einer familialen Sandwich-Situation – sie werden durch die eigenen Kinder als auch durch die Eltern beansprucht. Das erzeugt viel Stress.
Welche Auswirkungen hat es, wenn die Bevölkerung später Kinder kriegt?
Die späte Elternschaft zeichnet sich immer mehr ab. So werden erwachsene Kinder immer früher mit der Hilfsbedürftigkeit ihrer Eltern konfrontiert. Meist dann, wenn sie noch auf die Hilfe der Eltern angewiesen wären und sich in einer Phase befinden, in der sie ihr Leben erst noch aufbauen. Mit dem Altern der Eltern in jüngeren Jahren umzugehen, ist sicher nicht einfach – aber das ist es im mittleren Alter auch nicht. Die Probleme sind anders.
Irgendwann kommt auch das Thema Pflege ins Spiel …
In der Schweiz sind die familialen Solidaritätserwartungen hoch, insbesondere an Frauen. Die Familien sind aber kleiner geworden, es gibt weniger Kinder, die helfen können. Viele erwachsene Töchter sind berufstätig. Das führt zu Vereinbarkeitskonflikten mit der eigenen Familie und dem Beruf – und kumuliert sich zu einer ziemlichen Belastung.
Wo führt das zu den meisten Problemen?
Pflegende haben oft das Gefühl, allein gelassen zu werden – oftmals ist es nur ein Kind, dass die Pflege übernimmt, auch wenn es weitere Geschwister gäbe. Es fühlt sich dann so an, als verpasse man sein eigenes Leben und es kommt etwa zu Konflikten in der Partnerschaft. Auch eine eher fordernde Haltung der gepflegten Person kann schwierig sein. Und: Oftmals mangelt es an Anerkennung für diese Care-Arbeit.
Wie schützt man sich vor einer psychischen und körperlichen Überlastung?
Die meisten rutschen in die Rolle ein: Zuerst hat man Einkäufe getätigt, dann die Wäsche gemacht und plötzlich wird es mehr und mehr. Um das zu vermeiden, sollte man möglichst früh miteinander darüber reden und Abmachungen treffen. Sich abzugrenzen ist ein Akt der Liebe. Wenn nötig, kann es sinnvoll sein, Hilfe zu suchen: Es gibt in praktisch jeder Gemeinde einen Sozialdienst, die Pro Senectute oder die Spitex, die unterstützen und informieren können. Auch politisch hat sich was getan – die Pflege von Angehörigen ist nicht mehr eine Privatangelegenheit, sondern eine Leistung, die volkswirtschaftlich einen hohen Wert hat.
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