Reaktion auf nordisches Bündnis-Interesse«Putin wird wegen Nato-Beitritten die kleinen, schwachen Staaten plagen»
Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten. Sicherheitsforscher Tobias Vestner rechnet damit, dass Russland deshalb den Balkan ins Visier nimmt.
- von
- Bettina Zanni
Darum gehts
Herr Vestner*, Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten– ein rotes Tuch für Kremlchef Wladimir Putin. Welche Folgen hat dies?
Für Putin sind die Beitrittsbegehren von Finnland und Schweden ein Bumerang. Führte Russland in der Ukraine keinen Krieg, hätten die beiden Staaten auch wenig Interesse, der Nato beizutreten. Mit dem Krieg hat Putin demnach zu einer Stärkung der Nato beigetragen. Also zu etwas, das er eigentlich verhindern wollte.
Könnte der Krieg eine neue Eskalationsstufe erreichen?
Putin sah im Westen schon lange eine Bedrohung für Russland. Im Beitrittsinteresse von Finnland und Schweden wird er sich darin bestätigt fühlen, von der Nato umzingelt zu sein. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass er wegen der Nato, die jetzt noch prominenter vor seiner Haustür steht, den Westen angreifen wird. Wahrscheinlicher ist, dass er Finnland und Schweden zu provozieren beginnt, etwa mit unbewilligten Überflügen.
Warum nicht?
Putin will sich nicht mit den grossen Starken anlegen. Stattdessen wird er die kleinen, schwachen Staaten plagen. Vor allem der Balkan hat mit seinen pro-russischen Strömungen Sprengpotenzial.
Rechnen Sie mit einem Angriff auf den Balkan?
Es ist kaum möglich, dass Russland dort wie in der Ukraine einmarschieren wird. Putin rechnete mit einem schnellen Sieg. Es hat sich aber gezeigt, dass die russische Armee nicht so stark ist wie erwartet. Russland kann vielleicht kein Gebiet erobern, aber es kann plagen und mit kleinem Aufwand Schaden anrichten.
Welchen?
Im Balkan kann Russland die Stimmung leicht aufheizen, indem Putin die pro-russischen Strömungen stimuliert. Russland kann die Unruhen in den Ländern nutzen, um aktiv einzugreifen, Macht auszuüben und einen Krieg anzuzetteln. Und Putin verunsichert und beschäftigt den Westen.
Was bedeutet ein Beitritt der beiden nordischen Staaten für neutrale Länder wie die Schweiz?
Grundsätzlich werden die neutralen Staaten einen schwereren Stand haben, weil mit weiteren Nato-Beitritten das Verständnis für die Neutralität schrumpft. Wenn die Schweiz klug vorgeht, werden ihre guten Dienste dank der Exklusivität der Neutralität aber wertvoller. Die Schweiz könnte für Russland und die internationale Gemeinschaft dann hilfreich sein.

Tobias Vestner* ist Leiter für Forschung und Politikberatung am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP).
Beschäftigt dich oder jemanden, den du kennst, der Krieg in der Ukraine?
Hier findest du Hilfe für dich und andere:
Fragen und Antworten zum Krieg in der Ukraine (Staatssekretariat für Migration)
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Kriegsangst?, Tipps von Pro Juventute
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Anmeldung und Infos für Gastfamilien:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 058 105 05 55