Härtefallklausel: 4 von 10 verurteilten Ausländern kommen ohne Landesverweis davon

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Härtefallklausel4 von 10 verurteilten Ausländern kommen ohne Landesverweis davon

Rund 2000 Ausländer müssen jährlich die Schweiz wegen schwerer Delikte verlassen. Eigentlich wären es noch mehr. Neue Zahlen zeigen, dass Richter und Staatsanwälte rege Gebrauch von der Härtefallklausel machen. 

Claudia Blumer
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Claudia Blumer
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In rund 40 Prozent der Urteile gemäss Ausschaffungs-Deliktskatalog wird die Landesverweisung nicht ausgesprochen: Szene beim Gericht in Siders VS. (Symbolbild)

In rund 40 Prozent der Urteile gemäss Ausschaffungs-Deliktskatalog wird die Landesverweisung nicht ausgesprochen: Szene beim Gericht in Siders VS. (Symbolbild)

20min/Marvin Ancian
Richter können trotz obligatorischer Ausschaffung auf die Landesverweisung verzichten, indem sie die Härtefallklausel anwenden. Auch können sie von einer Landesverweisung absehen, wenn die Person in Notwehr oder in einer Notsituation gehandelt hat.

Richter können trotz obligatorischer Ausschaffung auf die Landesverweisung verzichten, indem sie die Härtefallklausel anwenden. Auch können sie von einer Landesverweisung absehen, wenn die Person in Notwehr oder in einer Notsituation gehandelt hat.

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Ausschaffungs-Fälle landen immer wieder beim Bundesgericht in Lausanne.

Ausschaffungs-Fälle landen immer wieder beim Bundesgericht in Lausanne.

20min/Marvin Ancian

Darum gehts

2021 wurden in der Schweiz 1895 Personen des Landes verwiesen, was ähnlich viel ist wie in den vorangegangenen Jahren (2020 waren es 2012 Personen, 2019 waren es 2118). Dies teilte das Bundesamt für Statistik am Montag mit.

Die Landesverweisungen beruhen auf einer Bestimmung im Strafgesetzbuch, die auflistet, nach welchen Delikten eine verurteilte Person die Schweiz zwingend verlassen muss. Dazu gehören vorsätzliche Tötung, Einbruchdiebstahl, sexuelle Handlungen an Kindern, aber auch Delikte wie Völkermord. Wer wegen eines dieser Delikte verurteilt wird, muss die Schweiz obligatorisch für fünf bis 15 Jahre verlassen.

35 Prozent der Einbrecher können bleiben

Auch für Straftaten ausserhalb dieses Katalogs können Richter die Landesverweisung aussprechen. Umgekehrt können sie aber auch darauf verzichten, obwohl die Landesverweisung obligatorisch wäre: indem sie die Härtefallklausel anwenden. In rund 40 Prozent der Verurteilungen gemäss Ausschaffungs-Deliktskatalog wird die Landesverweisung nicht ausgesprochen, wie die Statistik zeigt. Der Staatsanwalt oder die Richterin kann davon absehen, wenn eine Wegweisung die betroffene Person unverhältnismässig schwer treffen würde. Etwa, wenn die Person in der Schweiz geboren wurde und hier aufgewachsen ist. Ebenfalls kann das Gericht auf die Landesverweisung verzichten, wenn jemand in Not gehandelt hat.

In 58,8 Prozent der Verurteilungen wurde letztes Jahr eine Landesverweisung ausgesprochen, in 41,2 Prozent wurde darauf verzichtet. Eine hohe Härtefallquote gab es beispielsweise bei folgenden Delikten:

Vorsätzliche Tötung: 35 Verurteilte (88,6 Prozent Landesverweisungen)
Schwere Körperverletzung: 66 Verurteilte (47 Prozent)
Einbruchdiebstahl: 487 Verurteilungen (65,5 Prozent)
Strafbare Pornographie: 177 Verurteilte (neun Prozent)
Sexuelle Handlungen mit Kindern: 50 Verurteilte (34 Prozent)

100 Prozent Landesverweis bei Mord

Es gibt auch die Deliktkategorien, in denen die Richter keine Milde walten liessen. Das ist etwa bei Mord der Fall: Hier wurden 100 Prozent der Verurteilten des Landes verwiesen, 2021 ebenso wie in den Vorjahren. Letztes Jahr waren es vier wegen Mordes verurteilte Personen, 2020 waren es drei, 2019 waren es fünf. Eine hohe Wegweisungsquote gibt es auch bei Förderung der Prostitution: Von zehn Verurteilten letztes Jahr wurden alle des Landes verwiesen.

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