«mythen»: Schweizer Studenten holen mit E-Auto Weltrekord

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E-Weltrekord0,956 Sekunden von 0 auf 100 – «wir können es immer noch nicht fassen»

Einem Schweizer Studententeam ist es erstmals gelungen, ein Elektrofahrzeug in unter einer Sekunde von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. Das sagen die Beteiligten.

Die Weltrekordfahrt mit Kate Maggetti am Steuer fand am 1. September 2023 auf dem Militärflugplatz Dübendorf ZH statt.

ETH Zürich / JG Video

In 12,3 Metern und 0,956 Sekunden von null auf hundert: Mit ihrem selbst gebauten E-Rennwagen Mythen (Eigenschreibweise: «mythen») haben Studierende der ETH Zürich und der Hochschule Luzern den Beschleunigungsweltrekord für Elektrofahrzeuge zurück in die Schweiz geholt. Der bisherige Weltrekord lag bei 1,461 Sekunden, aufgestellt im September 2022 von einem Team der Universität Stuttgart. Entsprechend gross ist die Freude beim Team, wie Yann Bernard, verantwortlich für die Motoren, im Interview erklärt. Und die Fahrerin Kate Maggetti erzählt, wie sich eine solche Beschleunigung anfühlt.

Herr Bernard, Ihr Team hat einen Weltrekord aufgestellt. Wie fühlt es sich an, Weltrekordhalter zu sein?

Yann Bernard: Unbeschreiblich! Wir können es immer noch nicht fassen. Mit der Bestätigung von Guinness schreiben wir uns in die Geschichtsbücher ein. Wir sind das erste Team, das mit einem Elektrofahrzeug in unter einer Sekunde von 0 auf 100 km/h beschleunigt hat. Das Projekt hat viel von uns abverlangt. Wir alle haben unsere freien Wochenenden in der Werkstatt verbracht. Das Ziel erreicht zu haben, sogar unterboten zu haben, ist eine Genugtuung.

0,956 Sekunden von 0 auf 100 km/h sind mehr als 0,5 Sekunden schneller als der bisherige Rekord von einem Team der Universität Stuttgart. Was war der entscheidende Faktor dafür, dass Sie so viel schneller sein konnten?

Anfangs haben wir uns zusammengesetzt und das Ziel festgelegt, den Rekord wieder zurück in die Schweiz zu holen. Wir haben eine Simulation aufgesetzt, uns verschiedene Konzepte angeschaut und bewertet. Mit einer Kombination aus den im Studium gelernten Methoden und viel Kreativität haben wir unser Auto aufgebaut. Entscheidend waren nachher sicher der komplett neue Antriebsstrang sowie auch der «Staubsauger», ein Aerodynamikkonzept, um den Bodeneffekt aktiv zu nutzen.

Mit diesem sagenhaften Beschleunigungswert gewinnt man jedes Autoquartett. 

Mit diesem sagenhaften Beschleunigungswert gewinnt man jedes Autoquartett. 

Liegt mit diesem Konzept in Zukunft noch eine schnellere Zeit drin oder muss das Auto dafür ganz neu gedacht werden?

Sag niemals nie! Mit dem Konzept ist eventuell noch eine schnellere Zeit drin, jedoch kann nur die Praxis dies auch wirklich aufzeigen.

Der Akademische Motorsportverein Zürich (AMZ) ist seit 2006 daran, immer schnellere Beschleunigungswerte zu erzielen. Seit 2010 rein elektrisch. Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre Fähigkeiten, Ihre Zeit und Ihr Herzblut in ein Rennauto zu stecken?

Der AMZ baut seit eh und je Rennwagen und begeistert damit die Studenten. Als Projekt während des Studiums finden die Studenten den Weg in den AMZ und erleben mit dem Bau des Rennautos, was es bedeutet, in einem Team zusammen an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten und mit einem Auto an einem Rennen teilzunehmen. Warum Rennwagen? Es gibt das Formula-Student-Germany-Reglement, nach dem viele Universitäten in ganz Europa Rennwagen bauen und an Rennen gegeneinander antreten.

Wie motivieren Sie sich dazu, immer schneller werden zu wollen?

Die gegenseitige Konkurrenz zwischen den verschiedenen Formula-Student-Teams ist die beste Motivation.

Können Sie in Stunden ausdrücken, wie viel Zeit Sie bisher in das Rennauto gesteckt haben?

Ganz grob gerechnet sicher über 100’000 Stunden.

Das Auto ist sehr kompakt, es kommt auf jedes Gramm drauf an. Ist deshalb mit Kate Maggetti eine Frau am Steuer gesessen?

Für eine möglichst schnelle Beschleunigung kommt es besonders auf die Masse vom Auto und der Fahrerin an. Kate hat in dem Sinne einen merklichen Vorteil für unsere Rekordversuche.

Yann Bernard ist beim Mythen für die Motoren verantwortlich.

Yann Bernard ist beim Mythen für die Motoren verantwortlich.

Privat

Sind alle Teammitglieder mal am Steuer gesessen und mit dem Mythen gefahren oder haben grössere Menschen gar keinen Platz im kleinen Boliden?

Nein, die wenigsten von uns sind am Steuer gesessen. Dieser Rekord ist eine Ingenieursleistung, weshalb der Fokus auf dem Entwickeln, Bauen und Testen des Fahrzeuges lag. Das Fahrzeug selbst hat jedoch genug Platz auch für grössere Personen bis etwa 1,85 Meter.

Gibt es Interesse aus der Industrie für eure Technologie? Etwa von einem Automobilhersteller?

Nicht spezifisch. Die Technologie kann nicht direkt in der Industrie verwendet werden, jedoch ist die generelle Entwicklung der Konzepte interessant für die Industrie. Mit solchen Projekten kann man die Grenzen des Machbaren erforschen.

Bei einem Drag-Rennen in den USA wird traditionell über eine Viertelmeile (400 Meter) beschleunigt. Würden Sie mit dem Mythen eine solche Entfernung schaffen? Was wäre die theoretische Maximalgeschwindigkeit, die Sie auf einer solchen Distanz erreichen könnten?

Wir würden die 400 Meter auf jeden Fall schaffen, jedoch erreichen wir unsere Höchstgeschwindigkeit von 105 km/h in einer Sekunde. Danach beschleunigt das Auto nicht weiter und ist somit nicht konkurrenzfähig in dieser Kategorie. 

Kate Maggetti brauchte im Mythen 0,956 Sekunden von null auf 100.

Kate Maggetti brauchte im Mythen 0,956 Sekunden von null auf 100.

ETH Zürich / JG Video

«Ich brauchte schon etwas Mut»

Frau Maggetti, wie fühlt es sich an, wenn man in 0,956 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigt?
Kate Maggetti: Ganz einfach gesagt: sehr schnell. Man hat gar nicht Zeit, um darüber nachzudenken. Man spürt, wie es einen in den Sitz drückt, und dann ist es aber auch schon wieder vorbei.

Wie fährt man den Mythen? Lenkrad halten und das Pedal auf den Boden drücken? Oder funktioniert das ganz anders?
Fast. Es gibt einen Startprozess. Ich musste noch einige Dinge einstellen und habe dann am Lenkrad zwei Knöpfe gedrückt, bin voll aufs Gas gegangen und mit dem Lösen der Knöpfe beschleunigte das Auto.

Brauchten Sie viel Mut oder hatten Sie so viel Vertrauen in die Technik, dass Sie ganz locker darangingen?
Ich brauchte schon etwas Mut, aber nicht, weil ich an der Technik oder dem Können der Studenten gezweifelt habe. Es ist einfach nicht alltäglich, dass man so schnell beschleunigt. Beim ersten Run war ich sicher etwas angespannt, aber mit der Zeit weiss man, was einen erwartet, und dann konnte ich auch locker werden.

Welche G-Kräfte wirken bei der Beschleunigung auf den Körper ein? Mussten Sie dafür ein Krafttraining machen?
Soweit ich weiss, waren es 3 G oder vielleicht etwas mehr. Wenn man den Körper gut anspannt, ist man etwas vorbereitet. Aber der Körper wird schon müde, wenn denn den ganzen Tag so viel Kraft auf einen einwirkt. Ich musste aber kein Extra-Training dafür machen. 

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Innerhalb von nur 0,956 Sekunden und 12,3 Metern beschleunigte der Bolide von 0 auf 100 km/h.

Innerhalb von nur 0,956 Sekunden und 12,3 Metern beschleunigte der Bolide von 0 auf 100 km/h.

ETH/Alessandro Della Bella
Am Steuer sass Kate Maggetti.

Am Steuer sass Kate Maggetti.

ETH/Alessandro Della Bella
Dank des Einsatzes von leichtem Carbon und Aluminium-Waben wiegt das Rennauto gerade mal
rund 140 Kilo.

Dank des Einsatzes von leichtem Carbon und Aluminium-Waben wiegt das Rennauto gerade mal
rund 140 Kilo.

ETH/Alessandro Della Bella

Das ist der Akademische Motorsportverein Zürich

Der Akademische Motorsportverein Zürich (AMZ) wurde 2006 von Studierenden der ETH Zürich gegründet. Seither haben die rund 30 Mitglieder jedes Jahr einen neuen Boliden entwickelt, mit dem sie an verschiedenen internationalen Konstruktionswettbewerben – der sogenannten Formula Student – in Europa teilnehmen. Nach drei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren baut der AMZ seit 2010 rein elektrisch angetriebene Rennwagen. Der Verein bietet Studierenden die Möglichkeit, ihr erworbenes theoretisches Wissen in einem hochkomplexen technischen Umfeld in die Praxis umzusetzen. Der Verein ist finanziell unabhängig und wird von zahlreichen Sponsoren sowie verschiedenen Schweizer Hochschulen unterstützt.

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