Rollstuhl-Test in SBB-Zügen sorgt für Ärger

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Rollstuhlgängigkeit Mit diesem Test in SBB-Zügen sorgt der Bund für grossen Ärger

Das BAV testete die Rollstuhlgängigkeit in den neuen FV-Dosto-Zügen mit Dummys und Menschen ohne Behinderung. Für Inclusion Handicap ist das völlig unverständlich.

Das Bundesamt für Verkehr hat die Rollstuhlgängigkeit in den neuen FV-Dosto-Zügen getestet – mit Menschen ohne Behinderung.

SRF

Darum gehts

  • Das Bundesamt für Verkehr testet die Rollstuhlgängigkeit in den FV-Dosto-Zügen.

  • Videos zeigen, dass bei den Tests Dummys und Menschen ohne Behinderung eingesetzt werden. 

  • Inclusion Handicap ist empört, es droht eine rechtliche Auseinandersetzung.

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) testet die Rollstuhlgängigkeit in den neuen FV-Dosto-Zügen. Inclusion Handicap, die Dienst- und Hilfsorganisation für Menschen mit Behinderung, hatte Beschwerde eingereicht, die Züge seien nicht behindertengerecht. So seien die Rampen zu steil. Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit seinem Entscheid vom 20. November 2018 bestätigt, dass der neue Zug die massgebenden Normen und die Vorgaben des Behindertengleichstellungsrechts erfüllt.

«Den Anliegen der Behindertenorganisationen wurden seitens SBB über das gesetzlich geforderte Mass hinaus Rechnung getragen. Die SBB hat beispielsweise zusätzliche Rollstuhlzonen geschaffen und den autonomen Zugang zum Speisewagen sichergestellt, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen wäre», schreibt die SBB.

Dummys und Menschen ohne Behinderung

Auf Videos ist zu sehen, wie das BAV die Rollstuhlgängigkeit testet. Dabei wurden sogenanntes Dummys – also Kunststoffpuppen – und Menschen ohne Behinderung in Rollstühle gesetzt, wie SRF berichtet.

Der Dachverband der Behindertenorganisationen findet es inakzeptabel, dass Menschen ohne Beeinträchtigung die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen beurteilen. Caroline Hess-Klein, die Leiterin der Abteilung für Gleichstellung bei Inclusion Handicap, erklärt: «Menschen mit Behinderungen, die im Rollstuhl sitzen, haben bestimmte körperliche Einschränkungen im Gegensatz zu Menschen ohne Behinderung. Wenn beispielsweise der Rollstuhl droht, nach hinten zu kippen, können sie möglicherweise nicht einfach ihren Oberkörper nach vorne lehnen, um das Gleichgewicht zu halten.»

Bundesamt für Verkehr nimmt Stellung

Ausserdem seien die Rollstühle, die in den Videos gezeigt werden, nicht für die Nutzung im öffentlichen Verkehr geeignet. Sie würden hauptsächlich in Spitälern und Pflegeheimen verwendet. Inclusion Handicap ist daher überzeugt, dass die Testergebnisse keine Relevanz haben. Sie würden nicht die tatsächliche Situation von Menschen mit Behinderungen im Rollstuhl widerspiegeln, so der Vorwurf.

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) nimmt gegenüber SRF Stellung zu den Vorwürfen. Man habe bei den Tests hauptsächlich Dummys verwendet. Dies sei notwendig, um objektiv und präzise festzustellen, wie viel Kraft Menschen mit Behinderungen benötigen, um eigenständig in den Zug einzusteigen und wieder auszusteigen.

Die Personen, die in den Aufnahmen zu sehen sind, hätten die Tests mit den Kunststoffpuppen lediglich erweitert. Ihr Beitrag sei darin bestanden, den Ein- und Ausstieg zusätzlich mit verschiedenen anderen Körpergrössen und -gewichten zu testen, um ein allgemeines Verständnis für die Problemstellung zu entwickeln.

Fall könnte vor Bundesverwaltungsgericht landen

Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap sieht in dieser Vorgehensweise ein grundlegendes Problem: «Dies zeigt, dass sowohl das BAV als auch andere Behörden immer noch nicht erkannt haben, dass man bestimmte Fragen, die sich im Kern auf Menschen mit Behinderungen auswirken, nicht ohne die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen klären kann. Nur sie verfügen über die spezifischen Erfahrungen und Erkenntnisse, die zur Lösung beitragen können.»

Nun liege es in der Verantwortung des Bundesamts für Verkehr, basierend auf den Tests zu beurteilen, ob die FV-Dosto-Züge tatsächlich behindertengerecht sind. Hess-Klein hat bereits angekündigt, dass sie diese Angelegenheit vor das Bundesverwaltungsgericht bringen wird, sollte das BAV diese Frage positiv beantworten.

Es ist daher durchaus möglich, dass die neuen Fernverkehrszüge der SBB noch längere Zeit ohne endgültige Betriebsgenehmigung unterwegs sein werden. 

Lebst du oder lebt jemand, den du kennst, mit einer Behinderung?

Hier findest du Hilfe:

Verzeichnis der Behindertenorganisationen des Bundes

Inclusion Handicap, Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, Information und Rechtsberatung

EnableMe, Portal und Community von und für Menschen mit Behinderungen

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