Wacker Thun«Rumpel-Handball» siegt über Kunst und Millionen
Selten ist in einem Finale ein Team so gedemütigt worden wie Kadetten Schafhausen von Wacker Thun. Oberländer Eidgenossen gegen eine zusammengekaufte Weltauswahl 35:27 (21:14).
- von
- Klaus Zaugg
Wir können es salopp sagen: Bei Wacker Thun spielen ausländische Spieler keine Rolle. Bei Kadetten Schaffhausen spielen Schweizer keine Rolle. Oberländer Eidgenossen gegen Weltauswahl. Und darüber hinaus ist es ein Klassiker «Geld und Geist». Giorgio Behr, der reichste Mann im Kanton Schaffhausen und gemäss «Bilanz» rund 450 Millionen Franken schwer, alimentiert das Team mit gut und gerne drei Millionen Franken. Der Walter Frey des Handballs. Die Schaffhauser geben mindestens doppelt so viel Geld aus wie die Thuner. Auch deshalb ist es für Kadetten Schaffhausen eine schmähliche Niederlage.
«Rumpel-Handball» schnöden die Kenner über die Spielkunst des neuen Meisters. «Rumpel-Handball» siegt über Spielkunst und Millionen. Im Vergleich zu den hin und wieder ein bisschen aufflackernden spielerischen Feuerwerken der Kadetten mag das wohl bis zu einem gewissen Grade stimmen. Aber es ist etwas anderes, das früh die Entscheidung herbeiführt, über Taktik und Technik hinaus geht und in allen Teamsportarten die entscheidende Rolle spielt: Der Zusammenhalt des Teams, Leidenschaft und der Wille zum Sieg. Viel Geist, wenig Geld.
Totales Engagement
Von der ersten Sekunde an ist zu spüren, dass Wacker dieses fünfte und alles entscheidende Playofffinale gewinnen und den ersten Meistertitel seiner 51jährigen Geschichte feiern wird. Das Engagement ist total. Geschäftsführer Fred Bächer hat das grüne Klub-Logo auf seinen kahlen Schädel aufmalen lassen. Auf der Bank vibrieren die Spieler förmlich vor Energie. Nur Trainer Martin Rubin wirkt auffallend cool. Er ist seit sieben Jahren im Amt. Bei Schaffhausen haben sie diese Saison schon zweimal den Trainer gewechselt.
Nur in der Startphase haben die Thuner Mühe, Energie und Emotionen zu bündeln. Doch nach ein paar Minuten ist alles justiert, es beginnt zu rocken und zu rollen und der Gegner wird schliesslich buchstäblich überrollt. Bereits zur Halbzeit ist alles entschieden (21:14). Der entthronte Meister muss nach drei Titeln in Serie zusehen, wie die Thuner bereits eine Viertelstunde vor Spielschluss damit beginnen, auf der Bank ihre erste Meisterschaft mehr oder weniger offen feiern und die Fans anzufeuern. Der Funke springt von den Spielern zu den Fans und zurück zu den Spielern. Ein Sportfest im besten Sinne des Wortes. Kadetten Schaffhausen, das Team, das in diesem Finale nach Siegen mit 2:0 geführt hatte, fällt auseinander. Die Kadetten waren in dieser letzten Finalpartie nie eine Mannschaft. Kein gutes Zeichen für den Zusammenhalt und die Leistungskultur. Vielleicht hat Giorgio Behr die Leistungskultur mit Geld ein bisschen überdüngt. Zuviel Geld, zu wenig Geist.
Jetzt wartet die Champions League
Spielerisch ist es kein grosses Finale. Es fehlen Spannung und Dramatik. Aber Handball in der Provinz hat schon seinen Reiz. Die Faszination ist der emotionale Anstand: So viel Freude und Emotionen und keiner verliert den Anstand. Der Speaker gibt nicht nur die Torschützen durch. Er heizt auch die Stimmung wie ein DJ an. «Diiiifens, Diiiidfens» denn der Gegner im Angriff ist. Neben den Torschützen werden auch Paraden des Torhüters vom Speaker immer wieder erwähnt und gefeiert. Sportlicher Turnhallen-Rock'n'Roll. Im Fussball oder im Eishockey wäre so etwas völlig undenkbar und würde zu Ausschreitungen führen.
Eigentlich ist es erstaunlich, dass Handball kein breites Publikum findet und TV-Bilder praktisch nur übers Internet laufen. Viel Leidenschaft, im Vergleich zum Fussball oder Eishockey wenig Geld, kaum Starallüren und TV-Präsenz. Aber vielleicht ist es gerade das, was diese besondere Stimmung ermöglicht. Die Handballer haben das anständigste Publikum im Mannschaftsport. 2000 Fans füllen beim Spiel der Spiele die Lachenhalle. Sie feiern den ersten Titel ihres Teams, sich selbst und ihren Sport. Und die Spieler freuten sich über den mindestens so ausgelassen wie die SCB-Stars. Obwohl Marco Bührer und Martin Plüss mehr verdienen als die ganze neue Handball-Meistermannschaft von Wacker Thun.
Nun wartet nach dem ersten Titel nach 24 Jahren in der NLA die Champions League auf Wacker Thun. Wie seinerzeit der FC Thun (der im Stade de Suisse antreten musste) kann auch Wacker in diesem Wettbewerb nicht im eigenen Stadion antreten. Die Thuner werden entweder in Sursee (LU) oder in Olten (SO) die Partien auf höchstem europäischem Niveau austragen.