Kiew «Ein komplexer russischer Angriff» – so hört und fühlt sich das an
18 russische Raketen, neun Drohnen und sogar Kinschal-Hyperschallraketen wurden auf Kiew abgefeuert. Die Stadt wurde jäh aus dem Schlaf gerissen – auch die 20 Minuten-Reporterin.
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Darum gehts
Russland hat Kiew mit 18 Raketen, neun Drohen und sechs Hyperschallraketen angegriffen.
Es war ein «komplexer Angriff aus mehreren Richtungen und zu gleicher Zeit».
In den Videos hört ihr, wie das tönt. Und im Text lest ihr, wie sich das anfühlt.
Der erste Knall weckt Kiew kurz vor drei Uhr aus dem Tiefschlaf. Die erste Reaktion ist, im Bett instinktiv näher an die Wand zu rücken und einfach weiterschlafen zu wollen. Doch es folgen noch mehr Explosionen – Kawumm, Kawumm, Kawumm – und sie sind nicht weit weg. So nahe jedenfalls, dass die Druckwellen den schrillen Alarm eines im Innenhof parkierten Autos auslösen.
Es sind zwiespältige Emotionen, die einen jetzt alleine in der Dunkelheit überkommen: Die wohlige Schläfrigkeit weicht tiefem Unbehagen, Adrenalin beginnt zu fliessen.
»Denen daheim zeigen, was hier gerade abgeht?»
«Das Fenster aufmachen und diese Kriegsgeräusche aufnehmen, um denen daheim in der Schweiz zeigen zu können, was hier gerade abgeht?», sind Gedanken. «Aber was, wenn die Luftabwehr ein hereinkommendes Geschoss doch nicht abfängt? Was, wenn eine Rakete just unser Gebäude trifft?»
Beim Abspielen eines aus dem Bett gemachten Videos sind die Explosionen kaum hörbar, die Aufnahme wird der bedrohlichen Realität nicht ansatzweise gerecht. Ausgezeichnet zu hören indes in den beiden Twitter-Videos.
Ein komplexer Angriff
Um vier Uhr das SMS einer Freundin aus Kiew: «Alles in Ordnung?» Sie ist mit ihrem Mann, einem Kissen und einer Decke, in die nahe Metrostation tief unter der Erde geflüchtet. Denn ihre Wohnung liegt gleich neben einem Elektrizitätswerk, ein bevorzugtes russisches Ziel.
Erst am Morgen ist nachzulesen, was geschehen ist: Ein «komplexer russischer Angriff aus mehreren Richtungen und zu gleicher Zeit», so die Militärverwaltung von Kiew. 18 russische Raketen und neun Drohnen hatten die Stadt im Visier.
Sogar sechs russische Kinschal-Hyperschallraketen, die der russische Präsident Wladimir Putin als «unbesiegbar» anpreist, weil sie bei extremer Geschwindigkeit Höhe und Richtung ändern können, sollen abgefangen worden sein.
Was, wenn es den Schutzschirm über Kiew nicht gäbe?
Der Raketenalarm gehört zum Kiewer Alltag. Hier am Michaelsplatz, wo Wracks von russischen Panzern stehen.
«Mein Gott», denkt man sich da. «Ohne die gelieferten westlichen Raketenabwehrsysteme müsste das Zentrum von Kiew jetzt in Schutt und Asche liegen.» Das Wissen, dass Kiew so wie unter einem Schirm geschützt ist, hat etwas enorm Beruhigendes.
Mitte April waren die ersten Patriot-Systeme an die Ukraine geliefert worden – das fortschrittlichste Luftabwehrsystem der USA. Und Berlin lieferte erst Mitte April das zweite von vier zugesagten Iris-T-Systemen.
Moskau spricht von «weiterer Zerstörung»
Dabei wird es nicht bleiben: Auch die britische Regierung sagte der Ukraine am Montag die zeitnahe Lieferung Hunderter Luftabwehrraketen und Kampfdrohnen zu.
Für all jene, die der nächtliche Sturm von Explosionen über der Stadt aus dem Schlaf riss, dürfte es zynisch anmuten, wenn Moskau als Reaktion auf Londons Schutzzusage noch vor «weiterer Zerstörung» warnt.
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