DiskriminierendRussische Schwule dürfen nicht mehr demonstrieren
«Homosexuellen-Propaganda» soll in ganz Russland unter Strafe gestellt werden. Bei Protesten vor der Staatsduma in Moskau, wurden Schwule und Lesben von Ultraorthodoxen angegriffen.
- von
- bee
Unter brutalen Angriffen kämpfen Russlands Lesben und Schwule um ihre Rechte. Die Politik lässt sie allein und schützt die russisch-orthodoxe Kirche. Künftig sollen Homosexuelle in Russland gar nicht mehr öffentlich über ihr Liebesleben sprechen dürfen.
In Moskau gehen fanatische russisch-orthodoxe Christen am Freitag mit faulen Eiern, blauer Farbe und Hassparolen auf Dutzende Lesben und Schwule los. «Moskau ist nicht Sodom», grölen die Gläubigen am russischen Parlament gegen «Sünde und Lasterhaftigkeit».
Aber nicht die Angreifer kommen in Polizeigewahrsam, sondern die lesbischen und schwulen Aktivisten, die um ihr Recht auf Selbstbestimmung und freie Meinungsäusserung kämpfen. «Wir haben auch ein Recht auf Liebe», rufen sie an diesem eisigen Tag.
Es ist der Tag, an dem die Staatsduma erstmals über ein landesweites Verbot von «Homosexuellen-Propaganda» diskutiert. Die Abgeordnete Jelena Misulina, Vorsitzende des Familienausschusses, verteidigt das Vorhaben als besseren Schutz für Kinder. «Die russische Gesellschaft ist konservativer, deshalb ist die Initiative gerechtfertigt», meint die Politikerin.
Staat blickt ins Schlafzimmer hinein
Aber die Machtführung ist gespalten bei diesem Gesetz 6.13.1. Aussenminister Sergej Lawrow gilt als Befürworter. Regierungschef Dmitri Medwedew dagegen lehnt ein landesweites Verbot ab und betont, dass nicht alle zwischenmenschlichen Beziehungen per Gesetz geregelt werden könnten.
Doch in Regionen wie etwa St. Petersburg und Kaliningrad sind entsprechende Verbote von «Homosexuellen-Propaganda» samt Bussgeldkatalog bereits in Kraft.
388 Abgeordnete der Staatsduma mit den 450 Mandaten stimmen in erster Lesung für den Entwurf. Nur ein Parlamentarier lehnte das Gesetz ab, ein weiterer enthielt sich. Kommentatoren sprechen von einem mittelalterlichen Verbot. Dies sei ein beispielloser Eingriff des Staates in die Privatsphäre mit einem dreisten Kontrollblick in die Betten der Russen, kritisiert die Boulevardzeitung «MK».
Putin lenkt Hass auf die Homosexuellen
Beobachter sehen im Gesetz vor allem auch ein Störmanöver des Kreml, von der Proteststimmung und den vielen Problemen wie Korruption und Justizwillkür im Land abzulenken. Minderheiten hätten sich schon immer gut als Zielscheibe für Hass geeignet, heisst es. Medien berichten, dass auch die Truppenkommandanten beim Militär mit einem neuen Handbuch gezielt auf Schwule Jagd machen sollen - statt etwa mit der Gewalt gegen Rekruten aufzuräumen.
Menschenrechtskonvention verletzt
Auch die Kritik internationaler Verbände, Menschenrechtsorganisationen und von westlichen Regierungen konnte das Vorhaben nicht stoppen. Sie warnen, dass das Gesetz die europäische Menschenrechtskonvention verletze.
«Es schürt Homophobie und Vorurteile und wird Intoleranz und Hass gegen Minderheiten befördern und institutionalisieren», schreibt Axel Hochrein von der deutschen Hirschfeld-Eddy-Stiftung in einer Reaktion am Freitag.
«Macht Kinder!»
Die orthodoxen Anhänger vor der Duma aber meinen, dass das Gesetz im Sinne von Kremlchef Wladimir Putin gegen den Bevölkerungsschwund helfe. Homosexualität, so ist zu hören, störe die demografische Entwicklung. «Macht Kinder!», ruft ein Mann den Homosexuellen an der Duma zu.
«Dieses Gesetz zwingt jede Lesbe und jeden Schwulen zur Lebenslüge über seine Identität», meint die Aktivistin Jelena Kostjutschenko. Zwei Frauen küssen sich demonstrativ bei der Aktion.
Dann werden sie von Eiern getroffen. Eine Frau in schwarzer Jacke verspritzt aus einer Flasche auf die Lesben und Schwulen blaue Farbe - goluby, zu deutsch blau, ist das russische Wort für Homosexuelle.
Gewalt und Lebenslügen
Diese jungen homosexuellen Russinnen und Russen lehnen ein hier verbreitetes Doppelleben mit der Fassade einer heilen Familie ab. In einschlägigen Clubs sind sie immer wieder zu treffen, Frauen und Männer, die trinken und darüber verzweifeln, durch Rollenklischees in eine Lebenslüge gedrängt worden zu sein.
Ihnen macht auch das Erstarken der russisch-orthodoxen Kirche Angst - diese wichtige Machtstütze für Putin sieht Homosexualität als ansteckende Krankheit westlicher Verkommenheit. Deshalb gilt das Gesetz auch als Versuch kirchennaher Kreise, dem Trend einer Liberalisierung in Russland mit mehr Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen entgegenzutreten.
Aktivisten befürchten, dass religiöse Fanatiker und Rechtsradikale das neue «Anti-Homosexuellengesetz» als Freibrief für neue Gewaltattacken verstehen könnten. Allein 2012 habe es 43 Übergriffe auf Homosexuelle gegeben, davon vier mit tödlichem Ausgang.
Immer mehr Übergriffe auf Homosexuelle
Schwule und Lesben werden in Russland immer wieder Opfer von Gewalt. Homosexualität wurde in Russland bis 1993 als Straftat verfolgt und noch bis 1999 als psychische Krankheit eingestuft. Gay-Paraden, die seit 2006 wiederholt geplant waren, wurden verboten und brutal von der Polizei unterbunden.
Auch Experten sind besorgt: Wie ein Soziologe gegenüber dem Sender Euronews sagte, hätte die Gewalt gegen Homosexuelle in letzter Zeit stark zugenommen. «Wegen dieser obskuren Anti-Gay-Propaganda, die die Regierung verhängt hat, nimmt die Anzahl an Übergriffen dramatisch zu. Es soll auch Fälle geben, bei denen Homosexuelle getötet wurden. Aber niemand redet darüber und auch die Polizei geht diesen Verbrechen nicht nach», klagt er.
(Quelle: YouTube/Euronews)
(Quelle: YouTube/Euronews)
(Quelle: YouTube/EverydayDailyNews) (bee/sda)