Geiseldrama von BeslanRussland hat Leben der Geiseln nicht geschützt
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Moskau wegen der Erstürmung einer Grundschule vor fast 13 Jahren verurteilt.
- von
- nag
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Russland wegen der blutigen Beendigung des Geiseldramas von Beslan im Jahr 2004 verurteilt. Die Strassburger Richter gaben heute 409 Klägern Recht.
Zu Letzteren gehören Überlebende und Angehörige von Opfern, die beim Einsatz der russischen Sicherheitskräfte damals getötet oder verletzt wurden. Ihnen muss Moskau nun Schmerzensgeld zwischen 5000 und 30'000 Euro zahlen – insgesamt rund drei Millionen Euro.
Am 1. September 2004 hatte ein pro-tschetschenisches Kommando aus drei Dutzend Rebellen eine Grundschule in Beslan in der Kaukasusrepublik Nordossetien überfallen und rund 1200 Menschen mehrere Tage als Geiseln gehalten. Bei der Erstürmung der Schule durch die russischen Sicherheitskräfte am 3. September waren 331 Menschen getötet worden, unter ihnen 186 Kinder.
750 weitere Menschen wurden verletzt. Laut offizieller russischer Darstellung hatten die Rebellen vor der Erstürmung mehrere Sprengsätze gezündet. Augenzeugen berichteten hingegen, es seien Sprengsätze «ausserhalb» der Schule gezündet wurden.
Leben der Geiseln nicht geschützt
Die Beschwerdeführer werfen Russland vor, trotz des bekannten Risikos den Ansturm auf die Schule angeordnet zu haben. Der Einsatz sei zudem weder sorgfältig vorbereitet noch ausreichend kontrolliert worden. Damit habe es der russische Staat versäumt, das Leben der Geiseln zu schützen. Ausserdem kritisieren die Kläger die Ermittlungen über die Verantwortlichen des Militäreinsatzes als unzureichend.
Der Strassburger Gerichtshof räumte zwar ein, Russland habe angesichts der unnachgiebigen Haltung der Geiselnehmer vor einer schwierigen Entscheidung gestanden. Die bei der Erstürmung der Schule angewandte Gewalt sei jedoch «unverhältnismässig» gewesen. Bei der Vorbereitung und der Kontrolle des Einsatzes habe es zudem «schwere Versäumnisse» gegeben.
Das Urteil wurde von den sieben Richtern einer kleinen Kammer gefällt. Es ist noch nicht rechtskräftig – Russland kann dagegen binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann zur Überprüfung an die 17 Richter der Grossen Kammer verweisen, er muss dies aber nicht tun.
Kreml empört über Urteil
Russland kritisiert das Urteil scharf. «Für ein Land, das angegriffen wurde, sind diese Formulierungen absolut inakzeptabel», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow heute in Moskau. «Wir können mit so einer Formulierung nicht einverstanden sein», bekundete Peskow den Unmut der russischen Führung. (nag/sda)