Swiss Life Select: Schon Bewerber müssen ihre Freunde ködern

Publiziert

Swiss Life SelectSchon Bewerber müssen ihre Freunde ködern

Eine 20-Minuten-Leserin bewirbt sich beim Finanzberater Swiss Life Select – und ist schockiert, wie aggressiv sie Kunden anwerben sollte. Für die Firma ist das «branchenüblich».

V. Blank
von
V. Blank

Die Erwartungen von 20-Minuten-Leserin R.K.* waren hoch, als sie das Stelleninserat sah: Ein «Job für Quereinsteiger» mit «unbegrenztem Verdienstpotenzial» – das klang für die damals arbeitssuchende Schweizerin vielversprechend. Bei der Stelle handelte es sich um einen Job als Finanzberaterin bei Swiss Life Select. Die Firma bietet nach eigenen Angaben eine «allumfassende Finanzplanung und eine lebensbegleitende Finanzberatung». Es geht um den Verkauf von Versicherungen, Vorsorge- und Anlageprodukten oder Hypotheken.

Doch nach der ersten Euphorie kam schnell die Ernüchterung. Nach ihrer Bewerbung wurde K. von Swiss Life Select informiert, dass sie vor einer definitiven Zusage mehrere Coaching-Kurse während ihrer Freizeit besuchen müsse. Was sie dort erlebt habe, habe sie schockiert, sagt K. zu 20 Minuten: «Ich wurde aufgefordert, die Namen von 200 Freunden, Bekannten und Verwandten aufzuschreiben, die ich für ein Verkaufsgespräch kontaktieren sollte.» Sie habe sich dadurch enorm in die Enge getrieben gefühlt, habe die Liste – inklusive Telefonnummern – aber trotzdem erstellt und zum nächsten Kurs mitgebracht.

Exakter Ablauf auf Schweizerdeutsch

Befremdet war die Stellensuchende auch über die Unterlagen, die ihr an den Kursen mitgegeben wurden. Dort wird auf mehreren Seiten detailliert vorgegeben, wie man widerwillige Kunden am Telefon zu einem Verkaufsgespräch überreden kann – etwa dann, wenn der Kunde kein Interesse oder keine Zeit hat oder schlicht «wirklich nicht will».

Gemäss den Unterlagen, die 20 Minuten vorliegen, sollte im Gespräch jeweils der «durchschnittliche Vorteil von 8000 Franken in fünf Jahren» betont werden, den die Kunden dank Swiss Life Select erhalten. In einem «Muster-Kontaktgespräch» gibt es ausserdem einen genauen Ablauf, was der Berater zu sagen hat – auf Schweizerdeutsch («Grüess ech, mi Name isch ...») und mit immer denselben Floskeln («Da wersch mir ja sicher nid bös, oder?»). Zudem wird immer wieder daruf verwiesen, wie viel Geld man sparen kann («... me chönt no chli Geld usehole»).

Dieses penetrante Werben im Freundeskreis hat K. letztlich davon abgeschreckt, die Stelle bei Swiss Life Select anzunehmen. «Als es im Grundkurs darum ging, meine Kollegen tatsächlich anzurufen, habe ich die Sache abgebrochen», so K., «ich wollte sie nicht belästigen und eventuell als Freunde verlieren, nur, um einen Job zu bekommen.»

Modell «höchst bedenklich»

Für den Arbeitsmarktexperten Matthias Gehrig vom Forschungsinstitut Büro Bass ist das Arbeitsmodell von Swiss Life Select bedenklich: «Wenn man im persönlichen Umfeld Finanzprodukte verkauft, können Freundschaften zerbrechen.» Das liege vor allem daran, dass das finanzielle Anreizsystem (siehe Box) die Verkäufer dazu zwinge, möglichst viele Verträge abzuschliessen, die dann vielleicht gar nicht zum Kunden passen. Leidtragende seien die Verkäufer und die Kunden gleichermassen. «Damit Modelle wie das von Swiss Life Select nicht mehr funktionieren, müsste man das Versicherungsvertragsgesetz anpassen», so Gehrig.

«Wir wollen keinen Druck ausüben»

Für Swiss-Life-Sprecher Martin Läderach hingegen ist das Vorgehen der Firma nichts Aussergewöhnliches. «Die Berater von Swiss Life Select gewinnen Kunden auf Empfehlung von bestehenden Kunden, Kaltakquisition ist nicht zugelassen.» Auch die in den Ausbildungsunterlagen beschriebenen Muster-Gespräche würden auf dem Papier «direkter und schnörkelloser erscheinen», als sie in der Praxis seien. Damit Druck auf potenzielle Mitarbeiter aufzusetzen, sei keinesfalls im Sinn des Unternehmens.

Auch dass schon Bewerber Kunden anwerben müssen, ist laut Läderach sinnvoll: «Die Grundausbildung findet ausschliesslich zweitberuflich statt, damit der Neueinsteiger im bestehenden Arbeitsfeld bleiben kann. So hat er die Chance herauszufinden, ob die künftige Beratertätigkeit zu ihm passt.» Leserin K. ist derweil froh, dass sie sich gegen den Job entschieden hat. Letztlich sei auch das Vergütungsmodell auf Provisionsbasis nichts für sie gewesen.

Dunkle Vergangenheit

Swiss Life Select ging aus dem ehemaligen Finanzdienstleister AWD hervor. Die von Carsten Maschmeyer gegründete Firma wurde 2007 an Swiss Life verkauft. Die AWD-Vergangenheit ist dunkel: Die Firma wurde in Deutschland und Österreich mehrfach von Anlegern wegen Falschberatung verklagt. Angeprangert wurden auch immer wieder die aggressiven Verkaufsmethoden.

*Name der Redaktion bekannt

Arbeiten ohne fixen Lohn

Die Berater bei Swiss Life Select arbeiten auf selbstständiger Basis. Sie erhalten keinen fixen Monatslohn, sondern werden nach Leistung bezahlt – sprich, je mehr sie verkaufen, desto mehr verdienen sie. Zu Beginn erhalten sie laut Sprecher Martin Läderach eine zeitlich befristete finanzielle Starthilfe. Dieses Arbeitsmodell ist etwa in der Versicherungsbranche nicht unüblich. Der Verdienst bei Swiss Life Select würde sich «im branchenüblichen Rahmen» bewegen, so Läderach. Genaue Zahlen nennt er aber keine.

Deine Meinung