Religions-UnterrichtSchüler sollen Islam-Kurse besuchen
Islam-Vertreter fordern, dass die Volksschule den Kindern islamischen Religionsunterricht erteilt – um Radikalisierungen vorzubeugen.
- von
- B. Zanni
Die Polizei verhaftete Ende Juli einen Schweizer (17) aus dem Kanton Waadt, der mit einer terroristischen Organisation in Kontakt gestanden haben soll. Regelmässig werden Fälle wie diese bekannt. Deutschland will im Kampf gegen radikalisierte Jugendliche handeln. Nach dem Anschlag eines 17-jährigen Flüchtlings in einem Regionalzug bei Würzburg forderten die Kommunen, Islamunterricht flächendeckend an staatlichen Schulen einzuführen – um totalitäre Vorstellungen zu verhindern.
In der Schweiz werden ähnliche Stimmen laut. Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, befürwortet einen von den Moscheen losgelösten islamischen Religionsunterricht. Heute besuchten viele muslimische Kinder den Religionsunterricht an den Wochenenden und in Ferienlagern. «Es gibt konservative Vereine mit fragwürdigen Predigern, die richtige Indoktrinierungs-Camps sind.» Es sei gefährlich, die Kinder in die Hände von Leuten zu geben, die von der Moschee lebten.
«Keine Ideologen am Werk»
Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogik beim Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, würde man Islam-Kurse in Gemeinden mit vielen muslimischen Schülern begrüssen. «So hat man die Gewähr, dass keine Ideologen, sondern kompetente Lehrpersonen am Werk sind.» Gegen flächendeckende Lektionen wehrt er sich jedoch. «Die radikalisierten Jugendlichen haben eine Wut im Bauch. Mit Information kann man mögliche IS-Anhänger nicht immunisieren», sagt Brühlmann. Schulunterricht könne aufklären, aber «nie etwas verhindern». Das Problem sei, dass die radikalisierten Jugendlichen oft Randständige seien. «In solchen Situationen kommen Prediger mit einem ideologischen Deckel wie gerufen.»
Im Lehrplan 21 soll den Volksschülern das obligatorische Fach «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» Kenntnisse über alle grosse Religionen vermitteln. In den Kirchgemeinden können die Schüler freiwillig einen nach ihrem Glauben ausgerichteten Unterricht besuchen.
«Radikale Kulturen werden schnell attraktiv»
Laut Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz, finden die muslimischen Kinder oft auch innerhalb der islamischen Konfession ihren Platz nicht, «daher können radikale Kulturen schnell attraktiv werden.»
Ausgebildete Imame oder Religionslehrer müssten die Kinder für die Unterschiede zwischen Religion und Ideologie sensibilisieren und ihnen klarmachen, dass der IS «eine Sekte ist». Die Islam-Vertreter würden den Unterricht auch für Schüler anderen Glaubens öffnen. Afshar: «Denn viele Radikalisierte sind Schweizer Konvertiten.»
«Ein naiver Gedanke»
Bei Bildungspolitkern stösst die Forderung auf Widerstand. «Es ist ein naiver Gedanke zu glauben, Schulunterricht könne Extremismus oder Terrorismus verhindern», sagt SVP-Nationalrätin Nadja Pieren. Ansonsten gäbe es heute keine Skinheads und keinen schwarzen Block mehr. Zudem ist sie der Meinung: «Als christliches abendländisches Land haben wir hier unseren Glauben zu vermitteln.»
Sie erwarte, dass die Schulen «in allen Fächern zum kritischen Denken anregen», sagt Kathy Riklin (CVP). Das bestehende Schulfach ermögliche, sowohl das Christentum als auch den Islam vertieft zu behandeln. Jean-François Steiert (SP) hält einen Islam-Unterricht für übertrieben: «Ein wachsender Anteil von Schülern stammt aus Haushalten, die den formellen Islam nicht praktizieren.»