Zuflucht bei den TalibanSchwangere Neuseeländerin darf nicht einreisen und strandet in Afghanistan
Charlotte Bellis will ihr Kind in ihrer Heimat Neuseeland zur Welt bringen. Dort wird ihr jedoch wegen der restriktiven Corona-Politik die Einreise verweigert. Die ehemalige al-Jazeera-Journalistin wendet sich in ihrer Verzweiflung an die Taliban.
- von
- Jonas Bucher
Darum gehts
Die al-Jazeera-Journalistin Charlotte Bellis rückte bereits vor einigen Monaten in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Die 35-jährige Neuseeländerin stellte dem radikalislamischen Taliban an einer Pressekonferenz die mutige Frage, ob sie den Frauen in Afghanistan Zusicherungen machen könnten. Dafür erhielt Bellis nicht nur in ihrem Heimatland viel Beachtung. In der Zwischenzeit ist die unverheiratete Journalistin schwanger geworden. Der Vater des ungeborenen Kindes ist der freie Fotograf Jim Huylebroek. Bellis bezeichnet in «The New Zealand Herald» ihre Schwangerschaft als «ein Wunder», da ihr die Ärzte gesagt hätten, sie könne keine Kinder bekommen. Das Mädchen soll im Mai zur Welt kommen.
Bellis, die für al-Jazeera in Katar stationiert war und dort als unverheiratete schwangere Frau nicht bleiben konnte, schmiedete den Plan, in ihr Heimatland zurückzukehren. Das Problem: Neuseeland hat seit der Corona-Pandemie eine äusserst restriktive Einreisepolitik, die auch auf die eigenen Staatsangehörigen angewandt wird. Wer einreisen möchte, muss zwei Wochen in Quarantäne. Die Plätze in den Hotels sind jedoch dermassen rar, dass Einreisewillige zuerst an einer Art Lotterie teilnehmen müssen, bei der die wenigen freien Hotelplätze verlost werden.
Bei der letzten Verlosung gab es lediglich 1190 Plätze für rund 11’000 Bewerberinnen und Bewerber. Bellis und ihr Partner gingen leer aus. Laut eigenen Angaben hat die Journalistin mittlerweile 59 Dokumente an die neuseeländischen Behörden geschickt, inklusive Impfnachweisen und Nachweisen über ihre Schwangerschaft. Doch Neuseeland sieht darin keinen medizinischen Notfall, der eine Ausnahmeregelung bei der Einreise begründen würde.
Taliban bieten der Journalistin Schutz
«Im November kündigte ich meinen Job bei al-Jazeera und verlor dadurch mein Einkommen, meine Krankenversicherung und meine Aufenthaltsgenehmigung», sagt Bellis dem «Herald» weiter. Sie reiste in Belgien ein, dem Heimatland ihres Partners. Doch auch dort konnte die Neuseeländerin aufgrund der Aufenthaltsbestimmungen nicht lange bleiben. In ihrer Verzweiflung wandte sich die Journalistin schliesslich an ihre hochrangigen Kontakte bei den Taliban. Bellis wurde die Einreise nach Afghanistan erlaubt und dort steht sie nun unter dem Schutz der radikalislamischen Machthaber.
Bellis machte ihre Geschichte in einem offenen Brief an die neuseeländische Premierminister Jacinda Ardern publik. Sie beklagt, dass es «brutal ironisch» sei, dass sie die Taliban einst über ihre Behandlung von Frauen befragt habe und nun dieselben Fragen ihrer eigenen Regierung stelle. «Wenn die Taliban einer schwangeren, unverheirateten Frau einen sicheren Hafen anbieten, wissen Sie, dass Ihre Situation verzwickt ist», kritisiert die Journalistin die neuseeländische Regierung im «Herald».
Neuseeland hat nur 200 Intensivbetten
Neuseelands Premierminister Ardern gerät mit ihrer restriktiven Corona-Politik immer mehr in die Kritik. Rund 90 Prozent der Neuseeländerinnen und Neuseeländer sind mittlerweile gegen Corona geimpft. Der Inselstaat im Südwestpazifik weist seit Pandemie-Beginn äusserst niedrige Fallzahlen auf. Von den rund fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gab es laut der Weltgesundheitsorganisation WHO nur rund 15’600 registrierte Fälle, 52 Menschen starben mit oder an den Folgen einer Corona-Infektion. Doch mit dem Auftreten der hochansteckenden Omikron-Variante wird auch in Neuseeland mit einer hohen Ansteckungswelle gerechnet. Das Land hat lediglich 200 Intensivbetten und es wird befürchtet, dass deshalb das Gesundheitssystem zusammenbrechen könnte.
Auf den offenen Brief der schwangeren Journalistin meldeten sich derweil zahlreiche Menschen, die ihr die eigenen, in der Lotterie gewonnenen Einreisebewilligungen zukommen lassen wollten. Eine Übertragung dieser Dokumente ist jedoch laut der neuseeländischem Regierung nicht erlaubt. Ob die Journalistin ihre Tochter trotzdem noch in ihrer sicheren Heimat zur Welt bringen kann, steht in den Sternen. Chris Bunny, der Verantwortliche für das Quarantänesystem in Neuseeland, teilte dem «Herald» mit, dass Bellis kontaktiert worden sei, damit sie einen weiteren Notfallantrag stellen könne, der den Anforderungen entspreche.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, ungeplant schwanger geworden?
Hier findest du Hilfe:
Beratungsstellen nach Region
Appella, Telefon- und Onlineberatung
Fachstelle Kindsverlust, Beratung während Schwangerschaft, Geburt und erster Lebenszeit
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143