EigenbrötlerSchweizer sind in der Freizeit am liebsten allein
Wenig Platz für Freunde: Haben die Schweizer frei, widmen sie sich immer öfter am liebsten nur sich selbst.
- von
- B. Zanni
Sich mit Kumpels zum Feierabend-Bier treffen oder mit einer Freundin ins Café gehen – auf Aktivitäten wie diese pfeifen viele Deutsche. Lieber widmen sie sich in ihrer Freizeit nur sich selbst. Laut dem Freizeit-Monitor 2016 der Stiftung für Zukunftsfragen geht das Treffen von Freunden und Bekannten bei den Lieblingsbeschäftigungen als klarer Verlierer hervor: Nur 17 Prozent geben sich mit Freunden oder Bekannten ab. 2011 waren es noch rund 26 Prozent. Im Vergleich dazu geben heute 64 Prozent an, mindestens einmal pro Woche «sich in Ruhe zu pflegen», «etwas für die eigene Gesundheit zu tun» (47 Prozent) und Sport zu treiben (36 Prozent). Befragt wurden 3000 Menschen ab 14 Jahren.
Die Schweizer sind mit ihrem Nachbarvolk auf gleicher Wellenlänge, wie Fachleute bestätigen. «Das Bedürfnis, sich in der Freizeit zu regenerieren, anstatt soziale Kontakte zu pflegen, ist grösser geworden», stellt Psychologe Thomas Steiner fest. Beliebt seien Fitness und Sport. Es gebe Männer, die sich ein Motorrad kauften – «einfach, um allein über das Land zu cruisen». Einladungen oder Besuche kämen nur noch am Wochenende infrage.
Lieber ins Wellness als an Party
Auch Claudia Edelmann, Inhaberin von Worklife Coaching, beobachtet bei ihren Kunden ein wachsendes Bedürfnis nach individueller Qualitätszeit. «Als Ausgleich zur Arbeit machen sie lieber Gartenarbeit oder Yoga.» Hoch im Kurs stünden auch Behandlungen beim Coiffeur und in Kosmetikstudios. Treffen mit anderen Menschen wählten sie sorgfältig aus. «Anstatt auch noch Tante Emma am Sonntag einzuladen, pflegt man lieber weniger, aber dafür umso wertvollere Kontakte.»
Der Trend führt bei den Wellness-Anbietern zu einem grossen Zulauf. Einige Frauen zögen Wellness-Oasen Afterwork-Partys vor, sagt Kim Petri, Geschäftsleiterin der Schminkbar. «Da sie bei der Arbeit schon mit sehr vielen Leuten reden müssen, fehlt ihnen manchmal die Energie, sich auch noch in der Freizeit auf andere Menschen einzulassen.» Viele Berufstätige und Hausfrauen wollten sich in der Schminkbar aus dem Alltag ausklinken. «Sie suchen bei uns eine ‹egoistische Auszeit›, in der sie sich vielleicht mit einem Gläschen Prosecco dazu in Ruhe verwöhnen lassen können.» Gerne liessen sich die Kundinnen umgeben von warmem Dampf verwöhnen. «Beliebt sind aber auch Gesichtsbehandlungen, Massagen, Pediküre und Maniküre.»
Zu gestresst für Freunde
Warum gestalten die Schweizer ihre Freizeit zunehmend eigenbrötlerisch? Die Fachleute machen vor allem die Arbeitswelt dafür verantwortlich. Thomas Steiner: «Viele Mitarbeiter sind in ihrem Berufsalltag sehr gestresst und stehen unter Druck, sodass sie sich in der Freizeit zuerst einmal um sich selbst kümmern müssen.» Sandro Seeholzer von der Mental Coaching GmbH fällt auf: «Weil viele Angestellte ihre eigenen Bedürfnisse für die Firma komplett zurückstellen, wollen sie in der Freizeit das tun, was ihnen persönlich gut tut.»
Claudia Edelmann sieht einen weiteren Grund in der Digitalisierung. «Durch die ständige Erreichbarkeit kann die Lust auf oberflächliche Kontakte verloren gehen.» Im Hinblick auf die Karriere sei dieser Trend eher von Nachteil. «In der heutigen Berufswelt ist Netzwerken ein extrem wichtiges Thema geworden.» Dazu gehörten manchmal fliessende Grenzen zwischen beruflichen und privaten Treffen. «Um die guten Beziehungen zu pflegen, treffen Mitarbeiter nicht selten einen Geschäftspartner auch einmal in der Freizeit zum Lunch oder Kaffee.»