Tränendrüse ISchweizer Werbung bringt die Briten zum Weinen
Ein Schweizer Werbespot für Fotobücher wird zum Youtube-Weihnachtshit. In England deklassierte er gar die eigenen Kult-Werbespots.
- von
- Claudia Landolt
Weihnachtliche Werbung mit ernstem Hintergrund ist keine Ausnahmeerscheinung. Im vergangenen Jahr landete etwa die britische Kaufhauskette Sainsbury mit 17 Millionen Klicks für einen Weihnachtswerbespot, der die Schützengräben an der Westfront 1914 thematisierte, einen viralen Superhit.
Die Weihnachtswerbungen von Sainsbury wie auch Konkurrent John Lewis gehören in Grossbritannien jeweils zu den meist erwarteten Spots. Dieses Jahr nun aber läuft ihnen ein Schweizer Unternehmen den Rang ab.
Trauriges Thema
Das neue Video der schweizerischen Firma Ifolor widmet sich der Demenz. Mit Flashbacks erlebt der Zuschauer die Geschichte einer älteren Frau, die ihren mittlerweile dementen Mann in einem Pflegeheim besucht. Ihr Weihnachtsgeschenk ist ein Fotobuch, das die ersten Begegnungen vor über 50 Jahren dokumentiert. Der kurze Werbespot, nur 45 Sekunden, kommt ganz ohne Worte aus.
Der Spot wurde mittlerweile insgesamt über eine Million Mal angeschaut und 29'000-mal geteilt. Die Zeitung Sun schreibt: «John Lewis kann einpacken: Dies ist der traurigste Weihnachtswerbespot». Pius Walker, Werber und Kopf des Clips, ist von der Resonanz überwältigt. «Die sozialen Medien belohnen den Mut unseres Kunden, ungewöhnliche Wege zu gehen», erklärt er. Entstanden ist der Werbespot übrigens aus einer persönlichen Motivation heraus. Pius Walkers Vater hat Demenz.
Allein auf dem Mond
Der diesjährige Weihnachtsspot «Man On The Moon» (mit Musik von Noel Gallagher) der Lebensmittelkette John Lewis erzählt die herzzerreissende Geschichte der kleinen Lily und des Mannes im Mond. Das kleine Mädchen entdeckt den älteren Herren auf dem Erdtrabanten zufällig mit ihrem Teleskop und setzt alles daran, ihm ein Geschenk zukommen zu lassen. Nicht ohne Wirkung: Mehr als 20 Millionen Zuschauer haben das Video bereits gesehen.
Wenn die Katze Weihnachten vergeigt
Auch der Lewis-Konkurrent Sainsbury rührt im diesjährigen Weihnachtsspot zu Tränen. Es ist die Geschichte einer Katze, die durch ihre Ungeschicklichkeit zwar dafür sorgt, dass das Haus der Familie Thomas an Weihnachten ins Chaos gerät und abbrennt, aber dem tapferen Kätzchen gelingt es, seine Familie zu retten. Der Clip wurde über 19 Millionen Mal angeklickt.
Emotionen erlaubt
Überhaupt scheint Weihnachten 2015 mit ganz vielen Emotionen verbunden zu sein. Den Anfang machte ein viraler Hit von Edeka, in welchem ein Opa vergeblich auf den Besuch seiner Kinder zu Weihnachten wartet. Dabei greift er zu ungewöhnlichen Mitteln – was im Netz ganz schön die Gemüter erregte.
Frank Bodin, CEO der Agentur Havas Worldwide, erachtet Emotionen und sogar Kitsch in der Werbung speziell an Weihnachten als legitim. «Werbung ist ein Spiegel der Gesellschaft und offensichtlich gibt es gerade jetzt ein grosses Bedürfnis an Emotionen», erklärt der Werber. «Wir leben in einer technologisch und stark von marktwirtschaftlichen Kriterien geprägten Welt.» Da können Werte wie Geborgenheit und Gemeinschaft gerade an gewissen Anlässen stark in den Vordergrund rücken.
Tabus wie beispielsweise Demenz zu thematisieren sei ebenfalls legitim, so Bodin. «Viele Unternehmen fühlen sich in der Pflicht, etwas von ihrem Erfolg weiterzugeben, und seien es auch nur Gedankenanstösse zu urmenschlichen Themen wie Traditionen, Nächstenliebe oder eben Alter und Krankheit.»
Auch Ikea thematisiert Familie und Gemeinschaft, aber auf leichte Art. Das Motto: Perfektion ist langweilig. Erst recht an Weihnachten.