Kündigungswelle bei AngestelltenSchwere Vorwürfe aus dem Zürcher Bundesasylzentrum
Ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beklagen sich über problematische Zustände im Bundesasylzentrum Zürich. Diese führten zu Eskalationen mit Bewohnern – und zu einer sehr hohen Fluktuation bei den Angestellten.
Darum gehts
Im 2019 eröffneten Bundesasylzentrum Zürich brodelt es: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seien in Sachen Betreuung und Arbeitsbedingungen oft überfordert.
Dies führe auch dazu, dass es vermehrt zu Spannungen unter den Bewohnern und gewaltsamen Zwischenfällen komme.
Wer könne, kündige seine Stelle, heisst es.
Betreuer am Anschlag: Reporter des «Tages-Anzeiger» (Bezahlartikel) haben das Bundesasylzentrum Zürich besucht und sich zudem ausführlich mit ehemaligen Angestellten unterhalten, die scharfe Kritik am Betrieb der 2019 eröffneten Institution auf dem Duttweiler-Areal üben. Sie berichten von Eskalationen wie Massenprügeleien oder Selbstverletzungen von Bewohnern, von chaotischer Organisation, mangelnder Betreuung und chronischer Überforderung der Angestellten.
Dies führe dazu, dass es immer wieder zu Kündigungen von Angestellten komme. So hielt es laut dem Artikel etwa Sozialpädagogin Rahel Lampert* nur wenige Monate im Zentrum aus: Die Arbeit habe sie an ihre körperlichen und psychischen Grenzen gebracht, etwa, als sie zwischen Weihnachten und Neujahr 2019 für rund 70 minderjährige Asylsuchende zuständig war, unter denen es zwischen verschiedenen Volksgruppen zu grossen Spannungen kam. «Von Betreuung konnte keine Rede sein; wenn, dann war es Schadensbegrenzung», sagt sie. Schliesslich sei es zu einer Massenprügelei gekommen, bei der drei Bewohner und ein Sicherheitsbeamter verletzt wurden und die Polizei die Lage unter Kontrolle bringen musste.
Einen Grund für solche Eskalationen verortet Lampert in der mangelhaften Betreuungsstruktur – es herrsche eine «krasse Unterbesetzung» an Fachkräften. Für persönliche Begleitung oder Gespräche bleibe keine Zeit.
Kündigungswelle ausgelöst
Kurz nach der Prügelei seien viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Offensive gegangen und hätten dem Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta einen Brief geschickt, in dem sie sich über 26 einzelne Punkte beklagten, von Personalknappheit über hohe psychische Belastung bis hin zu fehlenden Stühlen und Tischen. Laut dem Sozialdepartement wurden einige Punkte seit da angegangen, der Betrieb sei mittlerweile «effizient organisiert und gut eingespielt». Doch laut befragten Angestellten der Asylorganisation Zürich (AOZ) sieht die Realität anders aus: Es fehle nach wie vor die Zeit für persönliche Gespräche mit den Bewohnern, die offizielle Grenze von 35 unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden werde immer wieder überschritten. Zudem sei die Zahl der Mitarbeitenden mit sozialpädagogischer Ausbildung mit fünf viel zu tief.
So erstaunt es Insider nicht, dass die Personalfluktuation im Asylzentrum hoch ist: Seit November 2019 haben laut dem Bericht 20 Festangestellte gekündigt, Personen mit befristetem Arbeitsverhältnis nicht eingerechnet. Insgesamt beschäftigt das Asylzentrum 51 Angestellte mit 100-Prozent-Pensum. Es gebe unter den Betreuenden «die Gebrochenen und die, die noch nicht gebrochen seien», so ein Zivildienstleistender im Zentrum. Allein das Team des Pflegepersonals sei bisher dreimal komplett ausgetauscht worden, sagt ein AOZ-Angestellter.
Mit mehr und besser ausgebildeten Betreuenden, da ist sich eine Betreuerin sicher, würde es auch zu weniger Selbstverletzungen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern kommen. Sie selbst ist auch auf der Suche nach einer neuen Stelle – «weil ich täglich zusehen muss, wie Menschen, die eh schon Schreckliches erlebt haben, in diesen Strukturen zusätzlich belastet und nicht adäquat betreut werden.»
SEM widerspricht
Eine Überforderung der Mitarbeitenden will das Staatsamt für Migration nicht bestätigen. «Das Gegenteil ist der Fall», sagt Sprecher Reto Kormann. Aufgrund der Pandemie seien weniger Asylsuchende im Zentrum, was entlastend wirke.
*Name geändert
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