Sexuelle Belästigung im ÖV«Sein Verhalten wirkte gewohnt» – weitere Frau im gleichen Zug belästigt
Nachdem 20 Minuten über einen Fall der sexuellen Belästigung in einem Zug von Bern nach Basel berichtet hat, hat sich eine weitere Betroffene gemeldet. Sie wurde auf der gleichen Strecke sehr wahrscheinlich vom selben Mann belästigt.
- von
- Manuela Humbel
Darum gehts
Am Montagabend ist eine Frau im Zug von Bern nach Basel von einem Mann sexuell belästigt worden.
Jetzt hat sich eine zweite Frau gemeldet, die sehr wahrscheinlich mit demselben Mann das Gleiche erlebt hat.
Sie sieht den Vorfall als Empowerment und lässt sich dadurch erst recht nicht entmutigen. Zudem erstattet sie Anzeige gegen den Mann.
Am Montagabend ist eine Frau im Zug von Bern nach Basel sexuell belästigt worden. 20 Minuten berichtete darüber. Daraufhin meldeten sich zahlreiche Personen, die im öffentlichen Verkehr Ähnliches erlebt haben. Darunter ist auch eine Frau, die exakt denselben Vorfall erleben musste – auf der gleichen Strecke, am selben Tag.
«Ich habe am Freitagmorgen zufällig den Artikel über den Vorfall gesehen und sofort erkannt, dass ich am gleichen Abend sehr wahrscheinlich vom selben Mann sexuell belästigt worden bin», berichtet die 29-Jährige gegenüber 20 Minuten. Auch sie sei von Bern nach Basel unterwegs gewesen und der Mann sei circa 15 Minuten vor der Ankunft in Basel zu ihr ins Zugabteil gekommen. «Ich habe gemerkt, dass er versucht, Augenkontakt mit mir aufzunehmen und habe den Blick zu ihm vermieden.» In der Fensterscheibe habe sie dann gesehen, dass er angefangen habe, sich an seinem Geschlechtsteil anzufassen. «Es war sehr unangenehm und ich habe mich mega unwohl gefühlt», erzählt die junge Frau.
Im Gegensatz zur anderen Frau, die am selben Abend vom gleichen Mann belästigt worden ist, konnte die 29-Jährige nicht einfach den Sitzplatz wechseln. «Er ist mir im Viererabteil so gegenüber gesessen, dass ich über seine Beine hätte klettern müssen. Ich hatte einen Rock an und das wäre mir unangenehm gewesen.»
«Ein gewohntes und systematisches Verhalten»
Der Mann habe dann angefangen, sie auf Englisch anzusprechen. Er habe ihr ein Kompliment zu ihrer Halskette gemacht. Sie habe ihm dann gesagt, sie habe gesehen, dass er sich berührt habe. «Ich fühle mich unwohl. Hören Sie auf damit!», gab sie ihm zu verstehen. Und dann nochmals laut: «Sie müssen gehen!»
Der Mann sei dann aufgestanden und gegangen. Die junge Frau vermutet, weil sie laut geworden – und weil in der Nähe ein anderer Mann gesessen sei. «Das hat ihn wohl überrascht und es wurde ihm unangenehm.» Trotzdem nimmt sie an, dass es nicht das erste Mal gewesen sei, dass er eine Frau auf diese Art und Weise belästigt habe. «Es hat so gewirkt, als sei ihm dieses Verhalten gewohnt und dass er dabei systematisch vorgeht. Dass er also auch schon andere Frauen so belästigt hat und es wahrscheinlich auch noch bei anderen tun wird.» Deswegen will sie Anzeige erstatten.
«Ich sehe es als Empowerment»
Es sei nicht das erste Mal, dass sie im öffentlichen Verkehr sexuell belästigt worden sei. «Mir sind auch schon schlimmere Dinge passiert. Aber trotzdem habe ich diesen Vorfall als schlimmer empfunden. Es war bedrohlich, ich habe mich allein gefühlt. Sonst sind mir solche Dinge eher in Menschenmengen passiert.» Sie habe auch nicht gewusst, ob er handgreiflich werden würde, sollte sie sich wehren oder ein Foto oder Video aufnehmen. «Man weiss nie, ob er dann vielleicht plötzlich ein Messer zückt.» Oder ob er sie bei der Ankunft in Basel verfolgen würde.
Trotzdem will die Frau in Zukunft nicht auf den Zug verzichten. Zum einen, weil sie für die Arbeit von Basel auf Bern darauf angewiesen ist, und zum anderen, grossen Teil: «Ich sehe es als Empowerment. Ich lasse mich von ihm nicht unterkriegen. Er hat kein Recht mir zu nehmen, dass ich mich im ÖV wohlfühle.» Sie sei «hässig», aber einschüchtern lasse sie sich nicht.
«Unbedingt Anzeige machen»
Als der erstere Fall zur sexuellen Belästigung vom Montagabend publik wurde, hat SBB-Sprecherin Fabienne Wittwer gegenüber 20 Minuten gesagt: «Wir nehmen solche Fälle sehr ernst. Jeder solche Fall ist für uns einer zu viel.» Ihre Mitarbeitenden seien für die Bewältigung schwieriger Situationen geschult und erhielten Unterstützung. Zudem verfügten alle Regionalzüge der SBB sowie die modernen Fernverkehrszüge in jedem Waggon über einen oder mehrere Notfallknöpfe im Eingangsbereich. «Mit diesem wird eine direkte Verbindung zur Transportpolizei aufgebaut», so Wittwer.
Im Fall der 29-jährigen Frau hätte ein solcher Knopf aber nichts genutzt. «Ich sass im Viererabteil und dort gab es keinen Knopf.» Hätte sie so einen betätigen wollen, dann hätte sie erst über die Beine des Mannes klettern müssen, aus dem Zugabteil und zum Eingangsbereich kommen müssen. Ein weiteres Problem sehe die Frau darin, dass je nachdem bis man am Bahnhof die Polizei gefunden hätte, der Täter schon längstens weg sei.
Trotzdem hofft sie, dass weitere Betroffene, wie sie, Anzeige erstatten. Von Seiten der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt heisst es: «Wir prüfen und ermitteln eingehende Anzeigen und Strafanträge sehr ernsthaft.» Und: «Personen, die solchen Taten ausgesetzt sind, sollen unbedingt Anzeige machen.»
Wirst du oder wird jemand, den du kennst, sexuell belästigt?
Hier findest du Hilfe:
Belästigt.ch, Onlineberatung bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Verzeichnis von Anlaufstellen
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.