Selbstmord als einziger Ausweg
In der letzten Nacht seines Lebens ging Pandurang Chindu Surpam hinaus auf sein Feld. Dort würgte er Pflanzenschutzmittel hinunter und wartete darauf zu sterben. Wie viele andere Bauern in Indien war der 45-Jährige schwer verschuldet.
Um Saatgut zu kaufen und die Hochzeit seiner Tochter bezahlen zu können, hatte Surpam innerhalb von zwei Jahren Kredite im Wert von 41 000 Rupien (650 Euro) aufgenommen. Solche Summen, die für westliche Ohren belanglos niedrig klingen, treiben in Indien jährlich tausende Bauern in den Tod.
Amtliche Statistiken zeigen, dass sich allein zwischen 2002 und 2006 jährlich mehr als 17 500 indische Bauern das Leben nahmen - das entspricht 48 Selbstmorden pro Tag. Seit 1997 sollen mindestens 160 000 Bauern in den Freitod gegangen sein, sagt K. Nagaraj vom Institut für Entwicklungsstudien in Madras.
Gründe für diese erschütternde Entwicklung gibt es viele. So machen unter anderem verheerende Dürren und gestiegene Preise für Saatgut die Lage vieler indischer Bauer aussichtslos. Seit der Einführung genetisch veränderter Baumwollsamen konnten zwar die Verluste durch Schädlingsbefall verringert werden, der Preis für dieses Saatgut liegt jedoch drei Mal so hoch wie für konventionelle Samen.
Neben den gestiegenen Kosten machen auch sinkende Einnahmen den Bauern das Leben schwer. So haben sie durch die zunehmende Liberalisierung der Wirtschaft nicht nur mit dem Wegfall von Agrarsubventionen zu kämpfen. Auch die hohen Einfuhrzölle auf Agrarprodukte, die einheimische Bauern vor dem Einfluss des Weltmarktes schützen sollten, wurden verringert. Unter diesen Neuerungen leiden vor allem Kleinbauern. «Die Selbstmorde sind Symptome einer grossen Agrarkrise», sagt Srijit Mishra vom indischen Institut für Entwicklungsforschung.
Schulden meist bei privaten Geldverleihern
Angesichts der erschreckenden Selbstmordzahlen sieht sich inzwischen die Regierung zum Handeln gezwungen. Im Haushalt von 2008 sind Sonderzahlungen für Kleinbauern vorgesehen, damit diese ihre Kredite tilgen können. Ausgeschlossen sind davon jedoch Schulden bei privaten Geldverleihern - den Hauptgläubigern vieler Bauern. In Nordindien haben die Behörden zudem ein günstiges Blondiermittel aus den Geschäften verbannt, da Bauern dieses häufig tranken, um einen Tod durch Nierenversagen auszulösen.
Besonders stark betroffen von der Welle an Selbstmorden ist auch der westliche Unionsstaat Maharashtra. Viele der dortigen Farmer schulden Banken und Geldverleihern mehr als sie überhaupt pro Jahr verdienen. So auch Surpam: Mit seinen 1,2 Hektar Ackerland konnte er jährlich nur umgerechnet 98 Euro an Gewinn erwirtschaften - seine Schulden betrugen das Siebenfache. «Er sagte immer, dass wir andern Leuten Geld schulden und dass das eine grosse Schande sei», sagt Surpams Witwe Sumitra. Wie hoch die Schulden ihres Mannes wirklich sind, hat sie erst nach seinem Tod erfahren.
Hohe Gewinne bei illegalem Geldverleih
Angesichts der derzeitigen Situation sind Banken und Geldverleiher die einzigen Gewinner. «Es ist kein schönes Geschäft, aber man kann viel Geld damit verdienen», sagt einer der Geschäftsmänner, der mit illegalem Geldverleih hohe Gewinne erzielt und lieber unerkannt bleiben möchte. Kreditgeber wie er fordern von den Bauern meist, das geliehene Geld innerhalb von nur elf Monaten wieder zurückzuzahlen - inklusive der Zinsen von häufig mehr als 100 Prozent.
Den Angaben des Geldverleihers zufolge ist die Zahl der Bauern, die ihre Kreditschulden nicht begleichen können, in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen. «Wenn wir ihnen Geld leihen, dann wissen wir sehr wohl, ob sie es zurückzahlen können oder nicht», sagt er. «Wir wissen, dass letzten Endes ihr Land in unseren Besitz übergehen wird.»
Surpams Witwe hofft nun, dass die Ernte dieses Jahres so viel abwerfen wird, dass sie einen Teil der Schulden ihres Mannes bezahlen kann. Um ihr Land nicht zu verlieren, möchte Sumitra eine neue Sorte Baumwollsamen kaufen, die mehr Ertrag bringen soll. Wie sie diese bezahlen wird? Sie wird sich Geld leihen. (dapd)