Jugend und SexSex-Kunde für Alle
Die Jungen sind übersexualisiert und haben immer früher und häufiger Sex, so ein gängiges Vorurteil. Stimmt nicht, sagt eine neue Studie und veranlasst den Bund zu neuen Massnahmen.
Sexualerziehung soll in der Schweiz breit abgestützt und ohne Tabus vermittelt werden. Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) appelliert deshalb sowohl an Eltern wie Schulen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich im Umgang mit der Jugendsexualität nicht von Pauschalurteilen leiten zu lassen. Kein Kind soll zudem vom Sexualkundeunterricht an der Schule dispensiert werden.
Gemäss einem Untersuchungsbericht, der am Freitag von Mitgliedern der EKKJ in Bern vorgelegt wurde, sind Jugendliche heute sexuell nicht grundsätzlich erfahrener als vor 20 Jahren. Erst unter den mehr als 17-Jährigen verfüge eine Mehrheit über Erfahrungen mit Geschlechtsverkehr, sagte Nancy Bodmer, Leiterin der Arbeitsgruppe «Sexualität» innerhalb der Kommission.
Auffallend sei jedoch, dass rund 85 Prozent der von der EKKJ befragten Jugendlichen angegeben hätten, dass sie bei ihrem ersten sexuellen Kontakt ein Verhütungsmittel angewendet hätten. Die sei auch ein Erfolg der Stop-Aids-Kampagne.
Mediales Bild ist überzeichnet
Einzelereignisse wie etwa Fälle von sexueller Nötigung oder von Jugendschwangerschaften würden heute jedoch nach wie vor oft in reisserischer Manier thematisiert und vermittelten damit ein mediales Bild von sexuell frühreifen Jugendlichen, die einen problematischen Umgang mit Sexualität pflegten, sagte Bodmer.
Das Ziel einer sachgerechten Sexualerziehung müsse deshalb auch sein, das Bild der Jugendsexualität von Pauschalurteilen zu befreien und stattdessen einen respektvollen und differenzierten Blick für alle damit zusammenhängenden Aspekte zu entwickeln.
Keine religiös oder kulturell begründete Dispensationen
Konkret empfiehlt die EKKJ deshalb, sowohl im privaten Bereich von Eltern und Familie wie auch im öffentlichen Bereich der Schule einen ausgewogenen Umgang mit Jugendsexualität zu finden, der auf der einen Seite dem jeweiligen Entwicklungsalter entspreche und auf der andern Seite die Bildung von Mythen verhindere. Gerade mit Blick auf die Entwicklung älterer Jugendlicher sei es zudem wichtig, dass diese auch ausserhalb der Schule erreicht würden - beispielsweise mit niederschwelligen Angeboten im Umfeld der offenen Jugendarbeit, von Sportvereinen oder von Beratungsstellen. Im Rahmen des Angebots an Schulen müsse zudem dafür gesorgt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler am Sexualkundeunterricht teilnähmen und folglich auch religiös oder kulturell begründete Dispensationsgesuche nicht akzeptiert würden.
Weitere Aspekte, die aus Sicht der EKKJ ebenfalls zu beachten sind, betreffen den Umgang mit den modernen Medien. Heute sei gerade via Internet selbst härteste Pornographie für Kinder und Jugendliche frei verfügbar, und die geltenden Altersschutz-Bestimmungen griffen hier häufig nicht, sagte Luca Cirigliano, Richter am Bezirksgericht Lenzburg und Mitglied der EKKJ.
Eine erhöhte Medienkompetenz sowohl von Eltern wie Jugendlichen sei daher nötig, damit sich die sexuelle Entwicklung von jungen Menschen nicht zunehmend im virtuellen Raum abspiele und dementsprechend geprägt werde. Zudem plädiert die EKKJ auch dafür, im Bereich der Werbung neue Schranken einzubauen und zum Beispiel festzulegen, wo Angebote mit erotisch geprägten Botschaften gezeigt werden dürfen und wo nicht - so wie dies heute bereits beim Alkohol geschehe, sagte Cirigliano. (dapd)