Entführte Schweizerin: «Sie las den Kindern Geschichten vor»

Aktualisiert

Entführte Schweizerin«Sie las den Kindern Geschichten vor»

Beatrice S. hat ihr Schweizer Leben aufgegeben, um im malischen Timbuktu auf eigene Faust zu missionieren. Am Sonntag ist die rund 50-Jährige entführt worden. Das EDA rät allen Schweizern, Mali zu verlassen.

von
D. Wild
Tuareg-Rebellen und die islamistische Bewegung Ansar Dine kontrollieren den Norden des Landes.

Tuareg-Rebellen und die islamistische Bewegung Ansar Dine kontrollieren den Norden des Landes.

Am helllichten Tag entführt: Am Sonntag ist die rund 50-Jährige, seit mehreren Jahren in Timbuktu wohnhafte Beatrice S. von sechs bewaffneten Männern verschleppt worden. Laut einem Nachbarn habe man sie in der Stadt gekannt. Sie habe versucht, Leute zum Christentum zu bekehren. Wurde ihr die Religion zum Verhängnis?

Der Bündner Expeditionsleiter und Fotograf Andrea Vogel hat selbst einige Zeit in Timbuktu verbracht und kennt Beatrice S. Er könne sich kaum vorstellen, dass die Entführung religiös motiviert gewesen sei, berichtet Vogel. «Sie war eine sehr zurückhaltende, bescheidene Frau, die aus tiefer Überzeugung handelte und mit einfachen Mitteln etwas zu bewirken versuchte.» Sie habe allein am Stadtrand gelebt und Kindern aus der Nachbarschaft jeweils Geschichten vorgelesen. «Ein einsamer Posten», so Vogel. Die Entführung sei zwar beunruhigend, er sei aber zuversichtlich. Sie sei nie als aufdringliche Missionarin aufgetreten. «Ich bin mir sicher, dass sich das für Beatrice positiv lösen wird.»

Familie versuchte sie zu überreden

Beatrice S. pflegte gemäss Vogel kaum noch Kontakte in der Schweiz. «Wenn sie hier war, war sie bei ihrer Mutter», so Vogel. Ihr früherer Arbeitgeber, die missionarisch tätige Organisation Wycliffe, wollte zum Vorfall keine Stellung nehmen. Gemäss Vogel habe die Entführte ohne die Unterstützung durch eine Organisation in Timbuktu gearbeitet und gelebt. Ein Leser berichtete, Beatrice S. habe «in der Schweiz alles aufgegeben» um in Timbuktu zu leben. Es sei klar, dass sie das Land in dieser schwierigen Zeit nicht verlasse. «Jeder in Timbuktu kennt sie und schätzt, was sie für die Bevölkerung tut», so der Leser.

Offenbar hat die Familie von Beatrice S. vor einigen Jahren aber versucht, sie zur Rückkehr in die Schweiz zu bewegen - ohne Erfolg. Und auch das Schweizer Konsulat in der malischen Hauptstadt Bamako sei besorgt gewesen: «Noch letzten Montag hat sich eine diplomatische Angestellte bei mir nach ihrem Befinden erkundigt. Aber niemand hat sie je zur Flucht überreden können», sagt Yattara Bouya, ein Pfarrer in Timbuktu, gegenüber «Le Matin».

EDA rät zur Ausreise

Die politische Lage in Mali ist angespannt. Seit dem Putsch gegen den Präsidenten Amadou Toumani Touré durch Malische Militärs Ende März kontrollieren Tuareg-Rebellen und die islamistische Bewegung Ansar Dine den Norden.

Gemäss dem christlichen Nachrichtenportal «Idea» sei die Lage für die christliche Minderheit in Mali lebensbedrohlich. Die Deutsche Allianz-Mission, die sich dem Gemeindebau und der theologischen Ausbildung widme, habe vorläufig alle Mitarbeiter aus Mali abgezogen.

Gemäss Angaben der AFP sind derzeit 21 Ausländer in der Gewalt von Islamisten. Wegen der hohen Entführungsgefahr empfiehlt das EDA seit Ende März den Schweizern im Land, Mali vorübergehend zu verlassen. Die Ermittlungen im Entführungsfall von Beatrice S. sind im Gange. Genauere Angaben zu den Entführern und Motiven der Tat sind nicht bekannt.

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