Silent Start: Sitzungen beginnen jetzt mit 30 Minuten Schweigen

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Silent StartSitzungen beginnen jetzt mit 30 Minuten Schweigen

Eine Meeting-Methode von Amazon-Chef Jeff Bezos zieht in Sitzungszimmern weltweit ein: Meetings beginnen neuerdings mit langem Schweigen.

R. Knecht
von
R. Knecht
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Wer mit Amazon-Chef Jeff Bezos an eine Besprechung geht, muss sich erst einmal auf bis zu eine halbe Stunde Stille einstellen.

Wer mit Amazon-Chef Jeff Bezos an eine Besprechung geht, muss sich erst einmal auf bis zu eine halbe Stunde Stille einstellen.

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Der sogenannte Silent Start dient den Teilnehmern als Zeitfenster, um das Sitzungsmemo zu lesen und sich auf die Diskussion vorzubereiten, indem sie etwa ihre eigenen Gedanken notieren.

Der sogenannte Silent Start dient den Teilnehmern als Zeitfenster, um das Sitzungsmemo zu lesen und sich auf die Diskussion vorzubereiten, indem sie etwa ihre eigenen Gedanken notieren.

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Martin Eppler, Kommunikationsprofessor an der Universität St. Gallen, sieht Vorteile in einer Stilleperiode am Anfang einer Sitzung: «Silent Start lohnt sich, wenn Meeting-Teilnehmer chronisch schlecht vorbereitet sind.»

Martin Eppler, Kommunikationsprofessor an der Universität St. Gallen, sieht Vorteile in einer Stilleperiode am Anfang einer Sitzung: «Silent Start lohnt sich, wenn Meeting-Teilnehmer chronisch schlecht vorbereitet sind.»

Keystone/Christian Beutler

Endlose Besprechungen mit viel Geschwafel und wenigen Ergebnissen: Sitzungen haben in vielen Firmen einen schlechten Ruf. Oft gelten sie als Zeitverschwendung. Darum setzen manche Unternehmen auf neue Varianten – etwa Meetings, bei denen erst einmal überhaupt nicht gesprochen wird.

Sitzungen in der Chefetage von Amazon beginnen in der Regel mit einer Stilleperiode von bis zu 30 Minuten. Der sogenannte Silent Start dient den Teilnehmern als Zeitfenster, um das Sitzungsmemo zu lesen und sich auf die Diskussion vorzubereiten, indem sie etwa ihre eigenen Gedanken notieren. Laut Amazon-Chef Jeff Bezos sorgt das dafür, dass alle Teilnehmer voll auf das Meeting konzentriert sind.

«Silent Start lohnt sich»

Martin Eppler, Kommunikationsprofessor an der Universität St. Gallen, sieht Vorteile in einer Stilleperiode am Anfang einer Sitzung: «Silent Start lohnt sich, wenn Meeting-Teilnehmer chronisch schlecht vorbereitet sind.» Aber auch wer das Memo bereits im Vorfeld gelesen hat, profitiert extrem davon, sich noch einmal einzuarbeiten, sagt Eppler zu 20 Minuten.

Vor jeder Sitzung ein schriftliches Memo zu formulieren, ist aufwendig, hat aber gerade deswegen einen weiteren Vorteil: Da sich die Veranstalter den Aufwand möglichst sparen wollen, finden insgesamt weniger Meetings statt, erklärt Eppler.

Besser als Brainstorming

Der Experte sieht den Silent Start als Alternative zum Brainstorming. Sitzungsteilnehmer würden sich gegenseitig nicht vorschnell beeinflussen, weil man zuerst einmal seine eigenen Gedanken notiere und sich erst nachher austausche. Beim Brainstorming sei das umgekehrt, was der Ideenvielfalt der Sitzung nachweislich schade.

Eppler hat selbst dabei geholfen, diese Art von Sitzung bei Organisationen wie der Europäischen Zentralbank oder bei der Schweizer Bank Pictet einzuführen. Die Erfahrungen sind laut dem Experten positiv, wobei es aber nicht immer wie bei Amazon eines langen Memos bedarf, sondern auch andere, teilweise kürzere Unterlagen zum Einsatz kommen.

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Disziplin statt Stille

Matthias Mölleney, HR-Experte und Leiter Center für Personalmanagement an der Hochschule für Wirtschaft Zürich, ist von Amazons Ansatz weniger überzeugt: «Für eine gemeinsame Lesestunde braucht es das Format der Sitzung nicht», sagt er zu 20 Minuten.

Mölleney fände es sinnvoller, die Vorbereitung vor dem eigentlichen Meeting anzusetzen, damit jeder Teilnehmer gemäss seiner eigenen Lesegeschwindigkeit und Methode vorgehen kann. Entscheidend sei dann aber die Disziplin der Teilnehmer – man müsse sich darauf verlassen können, dass alle vorbereitet zur Sitzung kommen.

Komplett stille Sitzungen

Manche Firmen gehen bei stillen Sitzungen noch weiter und verzichten komplett aufs mündliche Gespräch. Stattdessen findet die Sitzung schriftlich per Messenger statt. Das verhindert überlautes Reden, kann helfen, sich aufs Wesentliche zu beschränken, und gleichzeitig entsteht auch noch ein Protokoll. Trotzdem seien solche Meetings relativ selten, so Eppler von der Uni St. Gallen. In Chats komme es oft zu Missverständnissen, gerade wenn viele Personen beteiligt seien.

Dazu komme, dass viele Teilnehmer beim Chatten nebenbei noch andere Dinge tun, was für den Austausch problematisch sei. «Chats statt Sitzungen können sinnvoll sein, aber nur bei einfachen, nicht kontroversen Themen, bei wenigen Teilnehmern und relativ kurzer Dauer», sagt Eppler.

Von unproduktivem Verhalten wegkommen

Für den Personalexperten Michel Ganouchi von Recruma geht es bei neuartigen Methoden wie Silent Start auch grundsätzlich darum, etwas Neues zu probieren und so von den festgefahrenen und kaum produktiven Verhaltensmustern wegzukommen. «Nur schon das Ausprobieren hilft, sein eigenes Vorgehen zu hinterfragen», sagt er zu 20 Minuten. Natürlich müsse das aber wohlüberlegt und begleitet sein.

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