Sjögren-SyndromLanges Leiden – Hirn von Mädchen (15) von eigenem Immunsystem attackiert
Depressionen, Selbstverletzung, Krampfanfälle: Die Symptome, die ein Mädchen aus Taiwan plötzlich entwickelte, schienen aus dem Nichts zu kommen. Und sie wurden immer mehr – bis ihre Ärztinnen und Ärzte endlich die richtige Diagnose stellten.
Darum gehts
Ärztinnen und Ärzte machen den Fall einer 15-Jährigen publik, die lange auf eine Diagnose warten musste.
Aufgrund unklarer Symptome wurde das Mädchen zunächst falsch behandelt.
Erst nach einem Jahr war die Diagnose gefunden.
Nur dem Durchhalten des medizinischen Personals ist zu verdanken, dass sie ihr Leben heute wieder «im Griff» hat.
Der Zustand des Mädchens veränderte sich schnell und es wurde zusehends schlimmer: Erst schwand ihr Selbstvertrauen, dann kam die Depression und ihre Stimmung begann zu schwanken. Zudem hatte sie mit einem Mal Mühe zu schlafen. Später kamen Krampfanfälle und selbstverletzendes Verhalten hinzu: Immer wieder gab es Episoden, in denen sie sich den Kopf stiess und an den Armen kratzte, ohne sich später daran zu erinnern.
Am Ende – nach rund einem Jahr – traten diese Episoden dreimal täglich auf und die 15-Jährige wurde ins Spital eingeliefert. Dort stellten die Ärztinnen und Ärzte nach vielen Tests und wenig zielführenden Verdachtsbehandlungen (siehe Box) fest, dass die Symptome von einer Gehirnerkrankung herrühren, die durch eine Autoimmunerkrankung verursacht wird: das sogenannte Sjögren-Syndrom (ausgesprochen: Schögren-Syndrom). Konkret verursachte das Syndrom bei ihr eine Art Gehirnentzündung, die auf einen Immunangriff auf die Zellen des Organs zurückzuführen war und als Autoimmunenzephalitis bekannt ist.
Langes Rätselraten
Das ist das Sjögren-Syndrom
Das Sjögren-Syndrom ist eine Autoimmunerkrankung, die vor allem Frauen betrifft. Insgesamt kommt diese Krankheit jedoch selten vor: Nur etwa 0,03 bis 0,1 Prozent der Bevölkerung leiden darunter. In der Schweiz sind Schätzungen zufolge rund 8000 Menschen betroffen. Bei dieser Krankheit greift das Immunsystem die körpereigenen Drüsen an, insbesondere die Speichel- und Tränendrüsen. Dadurch kommt es zu einer verminderten Produktion von Speichel und Tränenflüssigkeit, was zu trockenen Augen und Mund führt.
Diese Symptome können auftreten
Die Symptome des Sjögren-Syndroms können vielfältig sein. Die Erkrankung kann in manchen Fällen – so wie bei der 15-jährigen Taiwanerin – auch zu einem entzündlichen Befall anderer Organe führen. Zudem können neben den Augen auch andere Organe betroffen sein: die Geschlechtsorgane, die Nase, die Atemwege und die Haut. Je nach Ausprägung kann es zu weiteren Problemen kommen. Etwa zu Schmerzen beim Sex, höherer Infektanfälligkeit oder Juckreiz. Oft geht die Krankheit mit ausgeprägter Müdigkeit (Fatique), Gelenk- und Muskelschmerzen einher. Auch Hautveränderungen können auftreten. Wenn das zentrale Nervensystem betroffen ist, kann es auch zu sogenannten neuropsychiatrischen Symptomen führen.
Wie kommt es zum Sjögren-Syndrom?
Die genaue Ursache ist noch nicht geklärt. Es wird vermutet, dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Auch eine frühere Viruserkrankung wird als Auslöser von Fachleuten diskutiert. Auch das Mädchen hatte eine Vorgeschichte von Epilepsie, die mit einer früheren bakteriellen Infektion zusammenhing.
Die Erkrankung tritt in manchen Familien gehäuft auf – offenbar kann also eine Neigung zum Sjögren-Syndrom vererbt werden. Die Diagnose erfolgt in der Regel anhand von klinischen Symptomen, Blutuntersuchungen und speziellen Tests.
Ist das Sjögren-Syndrom heilbar?
Nein. Es können nur die Symptome behandelt werden. Das heisst: Wenn nur die Speichel- und Tränendrüsen betroffen sind, kommen zum Beispiel Speichel- respektive Tränenersatzmittel zum Einsatz. Bei systemischem Befall kommen Medikamente zum Einsatz, die das Immunsystem beeinflussen.
Wie ging das medizinische Personal im Fall der 15-jährigen Taiwanerin vor?
Nachdem die Ursache gefunden und die Diagnose gestellt worden war, bekam das Mädchen eine immunsuppressive Therapie mit Steroiden und Rituximab, speziellen Antikörpern. Daraufhin erholte es sich zusehends, wie es im Fachjournal «Frontiers in Immunology» heisst. Die Stimmung des Mädchens verbesserte sich und seine selbstverletzenden Episoden hörten auf. Es bekam «sein Leben wieder in den Griff».
Warum berichten die Medizinerinnen und Mediziner überhaupt von dem Fall?
Sie möchten darauf hinweisen, «dass Ärztinnen und Ärzte wachsam sein sollten, wenn sie plötzliche Fälle von selbstverletzendem Verhalten beobachten, die scheinbar keinen Zusammenhang haben, und die Möglichkeit von zugrunde liegenden körperlichen Erkrankungen in Betracht ziehen sollten», zitiert Livescience.com den Hauptautor Chun-Hao Liu. Auch wenn das Krankheitsbild nicht unbedingt zum Betroffenen passt. Laut dem National Institute of Arthritis and Musculoskeletal and Skin Diseases tritt das Sjögren-Syndromn in der Regel erst bei Menschen ab 40 Jahren auf.
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