Kündigungen wegen Asylunterkunft«So etwas zerstört die Solidarität und kann zu Rassismus führen»
49 Mieterinnen und Mieter müssen in Windisch einer Asylunterkunft weichen. Politiker von links bis rechts kritisieren den Entscheid.


- von
- Claudia Blumer ,
- Lynn Sachs
Darum gehts
In Windisch soll eine Asylunterkunft für rund 100 Personen entstehen.
Der Gemeinderat ist darüber verärgert, dass dafür Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen müssen.
Auch Politikerinnen und Politiker von links bis rechts haben kein Verständnis dafür.
Für eine geplante Asylunterkunft in Windisch AG müssen 49 Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen. Luzia Capanni, SP-Grossrätin und Einwohnerrätin von Windisch, hat kein Verständnis für die Kündigungen: «In der Liegenschaft leben viele Menschen, die über wenig finanzielle Ressourcen verfügen und teilweise auf Sozialhilfe angewiesen sind. Mit den Kündigungen werden Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen gegeneinander ausgespielt.» Das sei hochgradig problematisch: «So etwas zerstört in der Bevölkerung nicht nur die Solidarität mit den Geflüchteten, sondern kann auch zu Rassismus führen.»
Zudem, so Capanni, werde das Problem mit dieser Massnahme verlagert. «Wenn die Mietenden keine Wohnungen finden, ist die Gemeinde für sie zuständig.» In der Gemeinde gebe es bereits zwei kantonale Asylunterkünfte, zudem stelle das Bundesasylzentrum in Brugg auch Windisch vor Herausforderungen: «Windisch hat sich offen gezeigt, Geflüchtete aufzunehmen und zu unterstützen. Dafür braucht es aber einen guten und offenen Austausch zwischen Kanton und Gemeinde. Dieser hat in diesem Fall nicht funktioniert.»
Auch Rolf Schmid, SP-Politiker und Präsident Netzwerk Asyl Aargau, sagt: «So etwas geht gar nicht, es ist brandgefährlich. Und zwar deshalb, weil es gegenüber der Bevölkerung ein völlig falsches Signal aussendet. Es entsteht der Eindruck, dass zwischen Bevölkerungsgruppen priorisiert wird.» Die Mieterinnen und Mieter seien auf diese Wohnungen dringend angewiesen: «Sie auf die Strasse zu stellen, geht doch nicht», so Schmid.
JSVP Aargau lanciert Petition
Ebenso sagt Martina Bircher, SVP-Nationalrätin und Sozialvorsteherin in Aarburg AG: «Mit dem heutigen Asylsystem benachteiligen wir unsere eigene Bevölkerung zugunsten von Flüchtlingen. Nicht nur bei der Unterbringung, sondern auch in der Sozialhilfe.» Es sei schon längst fünf nach zwölf: «Wir haben weder Infrastruktur noch Ressourcen, um die Menge an Asylsuchenden zu bewältigen.»
Die JSVP Aargau hat in der Zwischenzeit eine Petition gegen die Pläne des Kantons lanciert: «Die JSVP Aargau ist erstaunt und wütend über das Vorgehen des Kantons. Wir fordern den sofortigen Stopp der Asylunterkunftspläne in Windisch und die Rücknahme der Kündigungen», heisst es in einer Mitteilung.
Auch Irène Kälin, Grüne-Nationalrätin Aargau, sagt: «Wenn es stimmt, was die Gemeinde Windisch am Montag kommuniziert hat, dann hat der Kanton Aargau mit der Anmietung der Liegenschaft jedes Fingerspitzengefühl vermissen lassen.» Günstiger Wohnraum sei für alle knapp: «Ich verstehe den Frust und das Unverständnis bei den Mieterinnen und Mietern, denen gekündigt wurde, sehr gut.» Fakt sei aber auch, dass der Vermieter ihnen gekündigt habe und nicht der Kanton selber.
Laut der Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder wird jetzt vehement protestiert, obwohl man noch viel zu wenig über den Fall wisse. «Es war ja wohl nicht der Kanton, der den Mieterinnen und Mietern gekündigt hat, sondern der Eigentümer. Offensichtlich haben Kanton und Eigentümer diese Abmachung getroffen.» Unabhängig davon verstehe sie die Irritation der Gemeinde, wenn Leute aus Wohnungen geworfen werden und dann statt den einen einfach die anderen auf der Strasse stehen. «Das ist absurd», so Binder.
Gemeinde kritisiert Regierungsrat
Derweil kritisiert auch der Gemeinderat den Regierungsrat scharf. Wie es bei der Gemeinde Windisch auf Anfrage heisst, wird man sich beim Kanton dafür einsetzen, dass die Kündigungen rückgängig gemacht werden. Eine rechtliche Grundlage für eine Anfechtung der Kündigung vonseiten der Gemeinde gebe es nicht, weil die Mietverträge direkt zwischen Vermieter und Mieter abgeschlossen wurden.
Der Kantonale Sozialdienst (KSD) teilte am Montag in einer knappen Stellungnahme mit, dass man einen Brief des Gemeinderats erhalten habe und diesen Brief in den nächsten Tagen beantworten werde. Danach wolle man auch die mediale Öffentlichkeit über den Inhalt des Briefs orientieren. Vorab hält der KSD fest, dass es um eine reguläre Anmietung zweier Altliegenschaften geht, deren Sanierung in nächster Zeit bevorsteht.
Laut dem Grundbuchamt Laufenburg ist eine Firma aus Wollerau SZ die Eigentümerin der Liegenschaften. Eine Stellungnahme steht noch aus.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von Rassismus betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Beratungsnetz für Rassismusopfer
GRA, Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Fragen oder Probleme im Bereich Migration/Asylverfahren?
Hier findest du Hilfe:
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tel. 031 370 75 75
Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer SRK, Tel. 058 400 47 77
Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Tel. 044 436 90 00
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Fragen zu Miete oder Vermietung?
Hier findest du Hilfe:
Mietrecht.ch, Schlichtungsstellen nach Region
Rechtsauskunftsstellen nach Region
Mieterinnen- und Mieterverband, Tel. 0900 900800 (kostenpflichtig)
Casafair, Hauseigentümerverband
HEV Schweiz, Hauseigentümerverband
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.