Nach Hammer-UrteilSo kam es zum tiefen Fall des Pierin Vincenz
Für die nächsten knapp vier Jahre verschwindet der Ex-Raiffeisen-Chef hinter Gitter. Dass es soweit kommen würde, dachte bis vor wenigen Jahren niemand. Der Bünder war ein Star der Schweizer Bankenszene und wurde von den Medien geliebt.
Darum gehts
Fast vier Jahre Gefängnis, Millionen Franken an Schadensersatzzahlungen: Das Urteil des Bezirksgerichts Zürich im Fall von Pierin Vincenz und seinem Mitstreiter Beat Stocker (61) sorgt am Mittwoch für Staunen im schweizerischen Polit- und Wirtschaftsbereich. Der ehemalige Raiffeisen-Chef und sein Geschäftspartner waren wegen Betrugs, Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und weiteren Delikten angeklagt. Wie das Gericht in seinem Urteil bestätigte, nutzten sie ihr Insiderwissen und schoben sich gegenseitig über mehrere Unternehmen und Finanzvehikel Millionenbeträge zu. Im Rahmen des Prozesses wurde auch der ausschweifende Lebensstil des Bankiers mit astronomisch hohen Spesenabrechnungen und regelmässigen Besuchen im Rotlichtmillieu bekannt.
Es ist das Ende einer Aufstiegsgeschichte, die vor über 65 Jahren in einem kleinen Dorf im Kanton Graubünden ihren Anfang nahm. Pierin Vincenz, als Sohn eines Milchbauern geboren, zog damals aus, um die Schweizer Bankenwelt zu erobern.
In der Finanzkrise mauserte sich Vincenz zum Liebling der Medien
Beat Stocker und Pierin Vincenz bereicherten sich ab dem Jahr 2006 in mehreren Deals an Transaktionen, bei denen sie sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite aktiv waren. Das Geld parkierten sie bei einem eigens zu diesem Zweck gegründeten Treuhandbüro in Zug. Beim Verkauf des Unternehmens Commtrain an den Kreditkartenanbieter Aduno (heute Viseca), strichen sie 2006 so rund 2,7 Millionen Franken ein. In den darauffolgenden Jahren wiederholten sie den Trick ein weiteres Mal mit der Firma Investnet AG. Auch an diesem Unternehmen, das 2015 von der Raiffeisen gekauft wurde, waren die beiden beteiligt. Pierin Vincenz verdiente laut der «Handelszeitung» knapp drei Millionen Franken am Geschäft.
Zwischen diesen beiden Käufen lagen Jahre, in denen Pierin Vinzenz zum Medienstar avancierte. 2009 war er bereits seit über einem Jahrzehnt Chef der Raiffeisen-Gruppe, einer Bank mit fast zwei Millionen Genossenschaftern in der Schweiz. Gegründet wurde das Finanzinstitut Anfang des letzten Jahrhunderts als Alternative für die Landbevölkerung, für die sich die städtischen Kreditanstalten nicht interessierten. Seither hatte sie sich ein grundsolides Standing erarbeitet, sorgte im Gegensatz zu den Grossbanken für keine Negativschlagzeilen.
Vincenz’ Lebenslauf ähnelt einer Aufstiegsgeschichte, die den Titel «Swiss Dream» verdiente. Er wuchs im kleinen bündnerischen Dorf Andiast als Sohn eines Milchbauern auf. In der Schule sei er «miserabel» gewesen, schreibt später die «NZZ». Die Matura habe er nur mit «Ach und Krach» geschafft. Es folgten Stationen bei der Schweizerischen Treuhandgesellschaft in St. Gallen und dem Bankenverein (Vorgängerorganisation der UBS) sowie einem Studium an der renommierten HSG mit Lizenziat und anschliessendem Doktorat. 1997 wechselt er zur Raiffeisenbank, wo er nur zwei Jahre später, mit 43 Jahren, die Geschäftsführung übernahm.
Hunderttausende Franken Spesen und Ausflüge ins Rotlichtmillieu
In den Jahren nach der weltweiten Finanzkrise 2008 wuchs das Ansehen der Raiffeisen Bank rasch. Pierin Vinzenz war zu dieser Zeit regelmässiger Gast in Fernsehsendungen. Der Mann aus den Bündner Bergen erklärte der Schweiz, was die Raiffeisen alles anders machte als die Grossbanken wie die UBS, die auf Staatskredite zurückgreifen musste und dafür scharf kritisierte wurde. Insbesondere betonte er, dass er nicht so viel verdient wie andere Bankmanager – eine Interpretation der Wahrheit, die sich später noch als kreativ herausstellen sollte. Das Bild der Raiffeisen begann sich zu diesem Zeitpunkt zu wandeln. Die vormals eher biedere auftretende und im Hypothekengeschäft verankerte Bank zeichnete sich immer stärker durch ein aggressives Verhalten sowie diverse Übernahmegeschäfte aus. Gemäss der «NZZ» wurde die Bank zur «Drehscheibe für Beteiligungen an kleinen und mittleren Unternehmen».
Vincenz avancierte zum bestbezahlten Banker der Schweiz, verdiente gemäss einem Bericht des «NZZ-Magazin» vom vergangenen Herbst knapp 14 Millionen Franken im Jahr. Und auch beim Ausgeben katapultierte er sich in neue Sphären. Unter den Augen seiner Vorgesetzten, den Mitgliedern des Verwaltungsrats der Raiffeisenbank, reichte er regelmässig Spesenanträge im Wert von mehreren Hunderttausend Franken ein. Zusammengekommen waren die Summen in Stripclubs und Etablissements in der ganzen Schweiz, in die der Bankier Geschäftspartner zu angeblichen geschäftlichen Zwecken einlud. Gemäss der Berichterstattung des Portal Inside Paradeplatz soll Vincenz zudem mehrere Liebhaberinnen gehabt haben. Einer Frau gegenüber soll der Ex-Banker gar gewalttätig geworden sein und ihr anschliessend ein Schweigegeld im Wert von einer Million Franken überwiesen haben.
Ans Licht kamen die Geschäftstätigkeiten Vincenz’ und Stockers ab dem Jahr 2016, als erste Presseberichte auftauchten. 2017 kam es zur Anzeige – durch Aduno. Ab Ende Januar dieses Jahres folgte der Jahrhundertprozess, der in den Medien für grosses Aufsehen sorgte. Das weiterhin joviale und scheinbar optimistische Auftreten des Bündners überraschte zu Prozessbeginn viele. Für die «NZZ» ist nach der Urteilsverkündigung allerdings klar, dass Pierin Vincenz sich gesellschaftlich von diesem Schlag nicht mehr erholen wird. «In einem Land wie der Schweiz bekommen gefallene Stars keine zweite Chance», schreibt sie.
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