Asylsituation: «Wir wollen keinen zweiten Fall Windisch»

Asylsituation«Wir wollen keinen zweiten Fall Windisch»

Die steigenden Flüchtlingszahlen stellen den Kanton Zürich vor Herausforderungen. Sicherheitsvorsteher Mario Fehr sagt, wie der Kanton mit der Situation umgeht.

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Montag, 06.03.2023

Damit ist die Medienkonferenz beendet. Wir bedanken uns für das Interesse und wünschen noch einen schönen Tag.

«Fördert Rassismus»

Auf die Frage, ob der Kanton Zürich garantieren könne, dass Mieter nicht aus ihren Wohnungen geworfen werden, um Asylsuchende unterzubringen, sagt Fehr: «Wir als Kanton machen das nicht, das kann ich garantieren.» Die Gemeinden seien ebenfalls aufgefordert worden, darauf zu verzichten. «Container können an nicht zonenkonformen Orten aufgestellt werden, Brandschutzvorschriften werden gelockert und Gemeinden sind angehalten, auf Kollektivinfrastruktur zu setzen.» Dass Mieter rausgeworfen werden, sei kontraproduktiv, sagt Fehr: «Das fördert den Rassismus und senkt die Akzeptanz unseres Asylwesens.» Im Gegenzug sei Asylsuchenden zuzumuten, eine gewisse Zeit in einer Zivilschutzanlage unterzukommen, sagt Fehr. «Vor allem allein reisenden Männern ist das zuzumuten.»

Die Wohnungsknappheit sei stark zu spüren – vor allem im Kanton Zürich, sagt auch Kündig. Asylsuchenden eine eigene Wohnung und damit eine komfortable Wohnsituation zu ermöglichen, gehe derzeit halt einfach nicht mehr. «Dass einzelne Gruppen und Minderheiten aber gegeneinander ausgespielt werden, ist Gift fürs soziale Zusammenleben.»

ZSAs statt Wohnungen

Jörg Kündig, Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich, übernimmt das Wort. «Wir sind von der Erhöhung der Aufnahmequote von 0.9 auf 1.3 Prozent nicht begeistert.» Während vorhin pro Tausend Personen in einer Gemeinde 9 Personen aufgenommen werden mussten, seien es mit der neuen Regel 13. «Das sind über 40 Prozent mehr.» Und das in einer Situation, wo die Unterbringung von Geflüchteten sehr schwierig ist, sagt Kündig. «Viele Gemeinden sind am Anschlag und suchen händeringend nach Unterbringungsmöglichkeiten

Kündig betont: «Die Kündigung von privaten Wohnungen ist aber nicht einmal als letzte Möglichkeit akzeptabel, sondern schlicht nicht tragbar.» Da Wohnungen derzeit Mangelware seien, gelte es auf Container oder Zivilschutzanlagen (ZSA) zu setzen. «Auch Gewerberäume müssen umgenutzt werden, anders geht es schlicht und ergreifend nicht.» Die Gemeinden seien allerdings auf die Nachsicht der Baudirektion angewiesen, so Kündig. «Dass Gewerbeliegenschaften unkompliziert umgenutzt oder Container auf einer Wiese ausserhalb der Bauzone errichtet werden, muss in der Kompetenz der Gemeinden liegen.»

Kritik am Bund

Der Sicherheitsvorsteher macht dem Bund Vorwürfe: «Der Bund hat in seinen Bundesasylzentren zahlreiche unbelegte Plätze.» Mehr als 4000 nicht belegte eigene Plätze seien es derzeit. Mehr Leute seien an die Kantone und Gemeinden weitergeleitet worden, als neue Asylsuchende nachgerückt sind. «Das geht selbstverständlich nicht», sagt Fehr.

Er habe letzte Woche in der Sozialdirektorenkonferenz den Antrag gestellt, dass der Bund vermehrt auf die eigenen Plätze setzt. Einzelne Kantone wie Aargau und Luzern hätten den Antrag gestellt, vorübergehend gar keine neuen Zuweisungen zu erhalten. «So können sie durchschnaufen.»

Der Bund habe allerdings Besserung versprochen und zugesagt, Asylsuchende wieder für die vollen 140 Tage in den eigenen Bundesasylzentren zu behalten und nicht vorzeitig an die Kantone abzugeben. «Ich werde darüber wachen, dass sich der Bund an sein Versprechen hält», sagt Fehr.

Mit der Erhöhung der Aufnahmequote gebe es Luft für rund 3000 Personen zusätzliche Plätze in den Gemeinden, sagt Fehr. «Wir wollen aber ausdrücklich, dass nicht das passiert, was in Windisch passiert ist.» Für die Platzierung der Asylsuchenden soll nicht auf private Strukturen zurückgegriffen werden, sondern auf Kollektivstrukturen – etwa Zivilschutzanlagen. «Privaten wegen Asylsuchenden kündigen, ist nicht akzeptabel.»

Der Kanton Zürich habe 2022 über 16'000 Zugänge verzeichnet. «Das entspricht mehr als der Zahl der Asylsuchenden und Flüchtlingen, die die Schweiz 2021 aufnahm», sagt Fehr. Und auch dieses Jahr werde sich die Situation ähnlich weiterentwickeln: «Wir gehen davon aus, dass zwischen 22'000 bis 25'000 neue Asylgesuche auf uns zukommen werden.» Dies bedeute, dass eine Erhöhung der Aufnahmequote für Gemeinden unumgänglich sei, so Fehr. «Die Anpassung ist per 1. Juni angesetzt. Wir gehen davon aus, dass mit drei Monaten Vorbereitungszeit eine erträgliche Übergabe möglich ist», sagt Fehr.

Gleichzeitig hat der Kanton auch selbst die kantonale Infrastruktur bedeutend ausgebaut, so Fehr. «Wir haben innert einem Jahr eine Verdoppelung der kantonalen Infrastruktur erreicht.»

Mit einer Mischung von Anreiz und Druck habe der Kanton Zürich erreicht, dass gewisse Personen rückgeführt haben werden können, sagt Fehr. «Vor allem mit Algerien haben wir Fortschritte erreicht.» 2022 konnten insgesamt 652 Personen in ihr Heimatland rückgeführt werden.

Der Kanton Zürich habe die Herausforderungen bisher «gut» gemeistert, sagt Mario Fehr. Gerade im Vergleich zu den umliegenden Ländern, wo ein «Asyl-Chaos» herrsche, habe Zürich gut gearbeitet. «Wir machen alle unseren Job», sagt Fehr.

Etwas habe sich über die Jahre aber verändert: Der schreckliche Krieg in der Ukraine. Gesamtschweizerisch würden 63'000 Personen mit Status S in der Schweiz leben. 10'800 von ihnen habe der Kanton Zürich aufgenommen. Die Zuwanderung von Ukrainerinnen und Ukrainer haben mittlerweile aber nachgelassen. «Die Zuwanderung über den Balkan, Afghanistan, das Mittelmeer hat insgesamt aber zu einer steigenden Zahl der Asylgesuche geführt.»

Im Oktober 2022 sei es aber zum «Sündenfall» gekommen, als der Bund die Kantone verpflichtete, in kurzer Zeit eine «grosse Anzahl» Asylunterkünfte zu bereitstellen. «Alle 160 Gemeinden erfüllen die Asylquote des Kantons», betont Fehr.

Neben Regierungsrat und Sicherheitsvorsteher Mario Fehr wird auch Jörg Kündig, Kantonsrat und Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich an der Medienkonferenz teilnehmen.

15'000 Schutzsuchende

Obwohl der Kanton Zürich die Infrastruktur für die Unterbringung von Asylsuchenden weiter ausbaut, bleibt die Lage herausfordernd: Aufgrund des Ukraine-Krieges ist die Schweiz mit einer steigenden Zahl neuer Asylgesuche konfrontiert. Alleine letztes Jahr verzeichnete der Kanton Zürich über 15'000 Zugänge – rund 13'000 Personen mit Schutzstatus S und über 2000 Personen aus dem Asylbereich.

Der Kanton Zürich ist aufgrund des bevölkerungsproportionalen Verteilschlüssels verpflichtet, 17,2 Prozent der asyl- und schutzsuchenden Personen aufzunehmen.

Erst vor kurzem geriet die Stadt Zürich in die Schlagzeilen, weil sie zwölf Studierenden in einem Wohnblock den Mietvertrag kündete und neu an die Asylorganisation Zürich (AOZ) vermietete. Und in Seegräben ZH wurde einem Mieter gekündigt, obwohl sich die Gemeinde bei der Berechnung der Aufnahmequote verzählte.

Das Asylzentrum in Zürich.

Das Asylzentrum in Zürich.

20min/Ela Çelik
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