Zukunft der ArmeeSoll der Bürgerdienst die Wehrpflicht ablösen?
250 Tage Dienst am Staat für alle Einwohner – egal ob in der Armee oder bei der Feuerwehr: So will ein Thinktank das Milizsystem retten. Die Idee gefällt nicht allen.
- von
- Julia Käser
Der Feuerwehr laufen die Mitglieder davon, Gemeinden fehlen die Gemeinderäte und die Schweizer Bevölkerung wird immer älter und damit pflegebedürftiger. Der liberale Thinktank Avenir Suisse will nun eine Lösung für all diese Probleme gefunden haben: den allgemeinen Bürgerdienst. Männer und Frauen, Schweizer und Ausländer, sollen zwischen dem 20. und 70. Lebensjahr während eines Jahres Dienst am Staat leisten.
«Das Wir-Gefühl stärken»
Laut Avenir Suisse bröckelt das Milizsystem, weil sich immer weniger Bürger freiwillig engagieren. Deshalb will der Thinktank das heutige System gehörig auf den Kopf stellen. Anstelle des bisherigen Modells mit Armee, Zivildienst und -schutz sollen die Einwohner in Zukunft aus einer breiteren Palette von Aufgabenbereichen wählen können. So würden etwa auch die Pflege von Betagten oder Kindern, Feuerwehrdienst und ein Amt in der Milizpolitik zum allgemeinen Bürgerdienst zählen.
«Die allgemeine Bürgerpflicht soll das Wir-Gefühl in unserer modernen, heterogenen Gesellschaft stärken und den Trend zur Individualisierung aufhalten», sagt Tibère Adler, Directeur romand bei Avenir Suisse. Ein gutes Beispiel dafür sei die Möglichkeit, dass die Übernahme eines politischen Amtes auf kommunaler Ebene als Erfüllung der Bürgerpflicht gelte.
Zuspruch von Travail.Suisse
Auch der Arbeitnehmer-Dachverband Travail.Suisse liebäugelt mit der Idee des allgemeinen Bürgerdienstes. Laut Präsident Adrian Wüthrich seien dafür vor allem die Gleichstellung, die Eingliederung von Mann und Frau in die Gesellschaft sowie das Problem der zunehmenden Alterung der Gesellschaft ausschlaggebend. Durch den Bürgerdienst könne die Betreuungsarbeit, die heute mehrheitlich von Frauen unentgeltlich geleistet wird, anerkannt und entschädigt werden, so Wüthrich.
In der Politik hingegen verläuft die Diskussion momentan in eine andere Richtung. Der Bundesrat will den Zivildienst, der eineinhalbmal so lange dauert wie der Militärdienst, unattraktiver machen. Konkret soll der Wechsel von der Armee in den Zivildienst erschwert werden. Damit will der Bundesrat wieder vermehrt auf die traditionelle Wehrpflicht setzen.
«Bürgerpflicht verstösst gegen Menschenrechte und gefährdet die Armee»
Die Milizorganisation Giardino hält nichts von der Idee. Sprecher Markus Müller sagt, dass ein allfälliger Bürgerdienst die Armee schwächen würde : «Haben die Leute die Wahl, ob sie ihr Leben für die Sicherheit aller geben wollen, oder lieber einer einzelnen Person helfen möchten, werden sich die meisten für die zweite Option entscheiden».
Müller glaubt nicht, dass der Bürgerdienst jemals Realität werden könnte: «In unseren Augen verstösst die Idee klar gegen die Menschenrechte. Menschen dürfen zu nichts gezwungen werden, ausser sich der Verteidigung des Vaterlandes zu verpflichten.» Der allgemeine Bürgerdienst würde den Sinn und Zweck der Wehrpflicht untergraben. Die Gruppe Giardino schlägt vor, statt der Wehrpflicht die Steuer- und Abgabepflicht zu erlassen, falls jemand Bürgerdienst leiste.
Norwegisches Modell statt allgemeine Bürgerpflicht
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) begrüsst eine Stärkung des Milizsystems. Die Idee der allgemeinen Bürgerpflicht sei aber zu idealistisch, sagt ihr Präsident Stefan Holenstein. Die SOG wünscht sich deshalb einen Ausbau des bestehenden Erfolgsmodell der allgemeinen Wehrpflicht mit Frauen. «Wir setzten uns für die Einführung des sogenannt norwegischen Modells ein, das auch Frauen zum Militärdienst verpflichtet», sagt Holenstein.
Hätte die Armee mehr Frauen, könnte sie deren Potenzial wo nötig gezielter einsetzen – beispielsweise in den Bereichen Betreuung, Medizin und IT. «Wir möchten den Orientierungstag des Militärs für Frauen obligatorisch machen», sagt Holenstein. Man erhoffe sich, Frauen so besser zu erreichen und dadurch für die Armee begeistern zu können.
Sonderregelungen beim Militär
Tibère Adler von Avenir Suisse sagt, dass der allgemeine Bürgerdienst eine langfristige Zielsetzung sei, die noch ausgearbeitet werden müsse. Gerade beim Militär brauche es spezielle Regelungen. Eine gewisse Anzahl an Wehrdienstleistenden müsse festgelegt werden, damit das Militär reibungslos funktionieren könne. Auch Ausländer wären vom Militärdienstes weiterhin ausgeschlossen, Frauen hingegen würde es offenstehen. «Etablierte Ausländer sollen der Bürgerdienstpflicht unterstellt sein, aber aus politischen, juristischen und Sicherheitgsgründen nicht die Wahl des Militärdienst haben», sagt Adler. Der solle eine Exklusivität der Männer und Frauen mit Schweizer Pass bleiben.