Grippe, RSV, SkisaisonSpitäler verhängen Aufnahmestopps in Notfallstationen
Wegen der Rekord-Grippewelle und Personalmangel spitzt sich die Situation im Gesundheitswesen weiter zu. Nun verhängen Spitäler einen Aufnahmestopp in ihren Notfallstationen.
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«Von Beleidigen bis Anspucken habe ich schon alles erlebt»: Im Video zeigt Pfleger Denny, wie eine Schicht im überlasteten Notfall abläuft.
Darum gehts
Spitäler und Rettungsdienste ächzen unter Grippewelle und Mangel an Fachkräften.
Vermehrt müssen deshalb Spitäler nun Aufnahmestopps in ihren Notfallstationen verhängen.
«Dass alle Spitäler der Region so am Anschlag sind, habe ich so noch nie erlebt», sagt Kai-Simon Roloff vom Rettungsdienst Nordwestschweiz.
Gesundheitsexperte Andreas Faller sieht akuten Handlungsbedarf: «Kurzfristige Krisen könnten das System endgültig überlasten.»
Das Schweizer Gesundheitssystem steht massiv unter Druck. Die Grippezahlen schiessen in die Höhe und Kinderspitäler sind mit RSV-Infizierten gefüllt. Zusätzlich kämpfen Notfälle auch mit medizinischen Bagatellfällen, die die Stationen belasten.
Nun spitzt sich die Situation nochmals zu: Verschiedene Kliniken geben an, an die Grenze ihrer Bettenkapazität zu stossen. So schreibt etwa das Spitalzentrum Oberwallis auf Anfrage: «Seit Anfang November gab es pro Woche einen Abend, an dem nicht alle Patienten die Nacht auf einer Pflegestation verbringen konnten.» Diese hätten dann auf dem Notfall gepflegt werden müssen, so Pflegedirektor Kilian Ambord.
Die Skisaison verschärfe die Herausforderungen weiter, sagt Ambord. Deshalb trete nun täglich ein Krisenstab zusammen, um die aktuelle Lage zu beurteilen: «So können rasch Korrekturen vorgenommen werden, etwa das Aufschieben von nicht dringenden Eingriffen.» Zudem seien etwa weitere Praxisassistentinnen und -assistenten eingestellt und eine zusätzliche Wartezone in der Notfallstation eingerichtet worden.
Notfälle sind geschlossen
Auch andere Spitäler berichten, dass sie an ihre Kapazitätsgrenzen stossen: «Es kam an verschiedenen Tagen vor, dass wir kein Bett mehr frei hatten», sagt etwa Anita Kuoni vom Kantonsspital Baselland. Ähnlich klingt es auch bei den Spitälern Uster und Bülach auf Anfrage.
Vermehrt verhängen die Spitäler deshalb einen Aufnahmestopp für ihre Notfallstationen (siehe Box). Rettungsdienste müssen dann andere Kliniken anfahren. «In den letzten Wochen kam das für mehrere Stunden vor», heisst es etwa beim Spital Bülach.
So funktioniert das Schweizer Rettungswesen
In der Schweiz gibt es neben den staatlich betriebenen Rettungsdiensten auch viele private Unternehmen wie Regio144 oder den Rettungsdienst Nordwestschweiz. Meist koordiniert eine regionale Leitzentrale die Einsätze der verschiedenen Rettungsdienste. Spitäler versichern: Auch wenn die Notfallstation dort einen Aufnahmestopp gemeldet hat, würden Patientinnen und Patienten, bei denen es um Leben und Tod geht, immer aufgenommen. Dies gerade auch in wichtigen Zentrumsspitälern wie dem Unispital Zürich.
«Noch nie erlebt»
Das spüren die Rettungsdienste. Statt wenige Minuten ins nächstgelegene Spital müsse man dann etwa eine halbe Stunde in eine Klinik fahren, so Kai-Simon Roloff vom Rettungsdienst Nordwestschweiz. «So verzögert sich der ganze Einsatz um eine Stunde.» Auch ein anderer Rettungsdienst bestätigt, dass es in den letzten Wochen zu solchen Situationen gekommen ist.
Für Roloff ist das eine nie dagewesene Situation: «Dass es so eskaliert und alle Spitäler der Region so am Anschlag sind, habe ich so noch nie erlebt.» Kurzfristige Peaks wie der Blitzeis-Einbruch Mitte Dezember könnten so zum Problem werden: «Normalerweise können wir solche Situationen auffangen. Doch das wird schwierig, wenn das System schon so belastet ist.»
Dramatischer Personalmangel
Das sieht auch Gesundheitsexperte Andreas Faller so. Das Gesundheitssystem sei derzeit aus mehreren Gründen stark belastet: «Einerseits gibt es im Winter generell mehr Stürze und Unfälle, andererseits erleben wir eine ungewöhnlich starke Grippe- und Erkältungssaison.» Zudem habe sich der Mangel an Pflegepersonal in Spitälern noch verschärft: «Ein grosser Anteil der Betten kann aktuell nicht betrieben werden, weil es zu wenig Personal hat.»
Er sieht mehrere Handlungsfelder: «Einerseits müssen wir dafür sorgen, dass sich Notfallstationen noch weniger mit Bagatellfällen befassen müssen.» Dafür müsse man auch den Hausarztmangel noch stärker angehen. Zudem müssten Spitäler besser für ihre Bereitschaftsleistungen entschädigt werden: «Teils werden diese sogenannten gemeinwirtschaftlichen Leistungen von den Kantonen gekürzt, ohne auf den Bedarf zu achten. Das führt dazu, dass Spitäler weniger Reserve für Krisensituationen haben.»
«Bisher hatten wir Glück»
Faller sieht akuten Handlungsbedarf: «Bis jetzt hatten wir Glück.» Kurzfristige Krisen wie eine Naturkatastrophe, wo es in kurzer Zeit viele Verletzte gebe, könnten das System endgültig überlasten: «Das hätte massive Folgen und es könnte zu vermeidbaren Gefährdungen für Patientinnen und Patienten kommen.»
Auch Rettungsdienste schauen sorgenvoll in die Zukunft: «Wenn es so weitergeht, müssen wir bald zusätzliche Ambulanzfahrzeuge in Betrieb nehmen», sagt etwa Martin Kuhn von Regio144 in Zürich. «Woher das Personal dafür kommen soll, weiss ich nicht.» Im Extremfall könne das dazu führen, dass die gewohnte medizinische Versorgung nicht mehr jederzeit gewährleistet werden könne: «Auszuschliessen ist das nicht», so Kuhn.
Hattest du diese Saison schon die Grippe?