GesundheitswesenSpitäler wollen lukrative Operationen statt Covid-Kranke
Spitäler müssen Gewinn machen – doch Covid-Patienten und -Patientinnen bringen ihnen zu wenige Erträge. Das sagen Fachleute. Politiker und Politikerinnen fordern eine Systemänderung.
- von
- Claudia Blumer
Darum gehts
Die Pandemiepolitik des Bundes hat ein Ziel: Die Überlastung der Spitäler verhindern. Am 22. Dezember waren die Schweizer Spitäler zu 75,8 Prozent ausgelastet, die Intensivstationen zu 77,4 Prozent.
Also hat es noch zwischen 20 und 25 Prozent Kapazität in den Spitälern. Doch es geht nicht nur um Kapazität, sondern auch um das Geschäftsergebnis. Denn die Spitäler müssen Rendite erzielen, und sie verdienen an nicht-dringlichen Eingriffen wie Knie- und Hüftoperationen deutlich mehr als mit Covid-Patienten und -Patientinnen. Das bestätigen mehrere Fachleute auf Anfrage. Doch genau die lukrativen Eingriffe müssen jetzt verschoben werden. Dazu hat der Bundesrat die Spitäler Mitte Dezember ermahnt.
Lukrative Fälle – das sind planbare Operationen
«Ein Teil der Überlastung der Spitäler ist auch diesem Umstand geschuldet», sagt Marco Geu von der Gewerkschaft Syna. «Die Spitäler stehen unter grossem Renditedruck und müssen möglichst viele lukrative Fälle behandeln können, um diese Rendite zu erzielen.» Lukrative Fälle – das seien Knochenbrüche, künstliche Hüftgelenke, Meniskus-Operationen, das Entfernen von Krampfadern. «Eingriffe, die man gut planen kann – und sie bringen böse gesagt Geld», sagt Geu. Hingegen verdienten die Spitäler mit Geburten praktisch nichts, und das gelte auch für Covid-Patienten und -Patientinnen. Diese Behandlungen gehörten zur Grundversorgung, dort seien die Margen tief.
Die Spitäler seien in dieser Pandemie die «Gelackmeierten», und sie wüssten genau, dass sie Ende des Jahres finanziell nicht über die Runden kommen, sagt Marco Geu. «Das ist der Stress, und der dringt von der Spitalleitung hinunter bis zur letzten Mitarbeitenden.»
«Eigentlich müsste der Bund jetzt sagen: Was ihr wegen Corona nicht verdient habt, erstatten wir euch zurück.» Doch diese Diskussionen verliefen bis jetzt harzig, es gehe um viel Geld. «Nur in Ausnahmefällen haben Spitäler diese Hilfe vom Staat bekommen, etwa im Kanton Aargau.»
Spitäler machen auch nicht-dringliche Eingriffe
Adrian Wüthrich, Präsident des Gewerkschaftsdachverbands Travailsuisse, weiss aus persönlichen Kontakten mit Spitalmitarbeitenden, dass die Renditevorgabe teilweise über dem Grundversorgungsgedanken steht. «Viele Spitäler machen weiterhin nicht-dringliche Eingriffe, weil sie unter dem Druck stehen, ein finanziell gutes Jahresergebnis zu erzielen. Diese Kapazitäten fehlen dann in den Intensivpflegestationen», sagt Wüthrich. Doch er habe auch Verständnis dafür. «Die Spitäler bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Grundversorgungsauftrag und Gewinndruck. Das ist enorm schwierig.»
Auch Gesundheitsexperte Felix Schneuwly bestätigt: «Covid-Patienten schmälern die Rentabilität der Spitäler. Es besteht ganz klar der medizinische und ökonomische Druck, lukrative Operationen nicht zu verschieben.»
Anne Bütikofer, Direktorin des Spitalverbands H+, weist darauf hin, dass die Spitäler 2020 in mehreren Kantonen für einen Teil ihrer Ausfälle entschädigt worden seien. Damals ging es auch um das sechswöchige Behandlungsverbot während des ersten Lockdowns im Frühling 2020. Doch auch 2021 ist für die Spitäler pandemiebedingt ein schwieriges Jahr. Vom Bund komme jedoch keine Hilfe, so Bütikofer. «Es besteht keine Bereitschaft, die Fehlbeträge zu übernehmen.»
«Ein Problem der Tarifgestaltung»
Einen ersten Schritt habe das Parlament während der Wintersession gemacht, sagt SVP-Nationalrat Thomas Aeschi. Nach einer Änderung am Covid-Gesetz müssten jetzt Bund und Kantone zusammen die Spitalkapazitäten planen und die Kantone müssten die Mehrkosten übernehmen. Das neue Regime gilt seit einer Woche. «Doch bis heute scheinen Bund und Kantone diese Kapazitätsplanungen noch nicht an die Hand genommen zu haben», sagt Aeschi.
Gewerkschaften und linke Parteien fordern weitergehende Lösungen. Bund und Kantone müssten das Defizit der Spitäler ganz übernehmen, sagt SP-Nationalrätin Barbara Gysi. «Das fordern wir schon lange.» Auch Gewerkschafter Adrian Wüthrich vertritt diese Ansicht. FDP-Nationalrat Marcel Dobler sagt: «Wenn der Bundesrat Überkapazitäten in Spitälern anordnet und die Bettenkapazität aufstockt, müsste dies finanziert werden.» Bei der Verschiebung von Operationen hingegen sehe er die Kantone in der Pflicht.
Für Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel ist das Problem nicht, dass die Spitäler gewinnorientiert arbeiten müssen. Es sei ein Problem der Tarifgestaltung, sagt sie. Offenbar brauche es für Covid-Patienten und -Patientinnen eine bessere Abgeltung. Dieser Systemfehler habe womöglich auch damit zu tun, dass es über dieses Krankheitsbild vor zwei Jahren noch gar keine Daten gab. Ebenso müssten die Tarife für «zu lukrative Eingriffe» gesenkt werden, sagt Humbel.