«Mind Control»Verschwörungstheorien um rituelle Gewalt? SRF stoppt Dok-Film
Das Schweizer Fernsehen zahlte 75’000 Franken an einen Dokfilm über sexuelle Misshandlungen an Kindern. Doch nach Vorwürfen wegen Verschwörungstheorien machte SRF einen Rückzieher – der Film wird wohl nie ausgestrahlt.
Darum gehts
Ein von SRF mit 75’000 Franken unterstützter Dokumentarfilm über Opfer sexueller Gewalt im Kindesalter wird wohl nie ausgestrahlt.
Grund sind laut dem Fernsehen Zweifel an der Seriosität der Expertinnen und Experten, die darin zu Wort kommen.
Sie sollen Experten einer Verschwörungstheorie um organisierten Kindesmissbrauch und Manipulation von Gedanken sein.
Der Film heisst bedeutungsvoll «Es geschieht mitten unter uns» und sollte ein Tabu-Thema beleuchten: Es geht darin um angeblich organisierte sexuelle Gewalt an Kindern in der Schweiz. Im Mittelpunkt der Dokumentation der Luzerner Filmemacherin Ursula Brunner (61) stehen zwei Personen, die über ihre eigenen Erfahrungen sprechen – eine Frau, die mit ihrem Sekundarlehrer ein Verhältnis gehabt hatte und von ihm zur Prostitution gezwungen worden war, und die Tochter von Eltern, die im Sumpf einer Sekte steckten, und die in diesem Rahmen bei Ritualen sexuell misshandelt wurde. Es ging auch um die Schwierigkeit der Opfer, solche erfahrenen Taten nach Jahren zur Anzeige zu bringen.
Dazu kommen Experten zu Wort, die die Fälle einordnen. Und genau da liegt das Problem: Weil SRF-Verantwortliche diese Fachleute für «Exponenten einer Verschwörungserzählung» halten, haben sie den Film zurückgezogen – trotz 75’000 Franken Fördergeldern wird er wohl nie im Fernsehen laufen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet.
Experten gerieten in schiefes Licht
Wie konnte es so weit kommen? Fakt ist: Zu Beginn waren auch das Bundesamt für Kultur und die Zentralschweizer Kantone am Thema interessiert, sodass sie insgesamt 125’000 Franken dafür sprachen. Filmemacherin Brunner hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach als kompetente Regisseurin erwiesen, der man es zutraute, ein solch heikles Thema angemessen umzusetzen. Ende 2021 war der Film dann so wie vereinbart abgedreht. Doch das Fernsehen machte einen Rückzieher – weil sich «die Faktenlage geändert habe», wie es seitens des Senders heisst.
Zu Deutsch: Etwa zeitgleich zur Fertigstellung des Films waren mehrere Berichte in den Medien erschienen, die kein gutes Licht auf die Experten werfen, die die Misshandlungsfälle im Film einordnen. «Bei den sogenannten Experten im Film handelt es sich um Exponenten einer Verschwörungserzählung, die auch in Beziehung miteinander standen, quasi in einem Netz verbunden waren», wird SRF-Stabsleiter René Schell im Bericht zitiert. Es handelt sich um die Traumatherapeutin Regula Schwager, früher Co-Leiterin der Zürcher Opferberatungsstelle Castagna, und den Berner Psychiater Jan Gysi.
Beide sollen die «Rituelle Gewalt/ Mind Control»-These vertreten, gemäss der Missbrauchsopfer von ihren Peinigern dahingehend kontrolliert und manipuliert würden, dass die Erinnerung an die Taten teilweise verschwinden. Um dies zu erreichen, würden ihnen psychische Störungen zugefügt – eine krude Theorie, die nie bewiesen und von namhaften Forschern ins Reich der Verschwörungstheorien verwiesen wurde. Mit seinem «Verein für Opfersicherheit» soll Psychiater Gysi versucht haben, die Idee der Gedankenkontrolle an den Opfern «in die Justiz und Polizei zu tragen». Wegen dieser Anschuldigungen hat die Berner Ärztegesellschaft ein Verfahren gegen Gysi eingeleitet, der auch Supervisor im Psychiatriezentrum Münsingen war und dort Patienten nach seinen Überzeugungen behandelte. Auch seitens der Berner Gesundheitsdirektion läuft ein Administrativverfahren.
Filmemacherin verteidigt sich
Aufgrund dieser Fakten entschied sich SRF Ende 2022 endgültig, sich vom bereits fertigen Film zurückzuziehen – obwohl er genau so wie vereinbart abgedreht worden war. Eine Umarbeitung unter Einbezug der neuen Erkenntnisse sei nicht möglich gewesen. Das staatliche Fördergeld muss nicht zurückbezahlt werden. Schwager wie auch Gysi haben zudem zwischenzeitlich ihre Einwilligungen zum Film zurückgezogen.
Filmemacherin Brunner betont zwar, Mind Control werde im Film nicht erwähnt und verteidigt ihre Experten, die im Film zu Wort kommen. Sie habe einen «transparenten und informativen Film» zu einer aktuellen Thematik gedreht, in dem keine «verschwörungserzählerischen» Elemente vorkämen. Doch eine weitere Expertin im Film ist nebst Gysi Regula Schwager, die 2021 in einem Fernsehbeitrag erklärt hatte, in der Schweiz würden Mitglieder der Oberschicht Geld dafür bezahlen, um Kinder sexuell auszubeuten. Zudem habe sie von Ritualen mit Menschenopfern gehört – und keinen Grund, daran zu zweifeln.
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