WashingtonStaat gibt Obdachloser 100'000 Dollar zurück
20 Jahre lang lebte Wanda Witter (80) in Washington auf der Strasse und behauptete, der Staat schulde ihr 100'000 Dollar. Sie hatte recht.
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Die 80-jährige Wanda Witter ist in Washington ein vertrautes Gesicht. Fast 20 Jahre hauste die obdachlose Frau mit drei Koffern an einer Ecke, nur zwei Blocks vom Weissen Haus entfernt. Und fast 20 Jahre lang behauptete sie, der Staat schulde ihr 100'000 Dollar (umgerechnet 96'600 Franken). Nun stellt sich heraus: Witter war im Recht. In den nächsten Tagen soll sie einen Scheck über 99'999 Dollar vom US-Sozialamt erhalten — das ist der höchste Betrag, den die Beamten auf eine Zahlungsanweisung schreiben dürfen.
Ihre Odyssee begann Mitte der 1990er-Jahre, als sie ihren Job verlor. Zuerst zog die Mutter von vier erwachsenen Kindern zu einer ihrer Töchter im US-Staat Colorado. Dort besuchte sie eine Abendschule und erhielt drei Jahre später ihr Diplom als Anwaltsgehilfin. Sie zog nach Washington, in der Hoffnung, einen Job zu finden. Doch keiner wollte die mittlerweile 70-jährige Frau einstellen. Als ihr Erspartes ausging, landete Witter auf der Strasse.
Alle Unterlagen beisammen, schön geordnet
Im 2006 forderte sie Sozialhilfe an. Zuerst erhielt sie einen Scheck über 300 Dollar, dann über 900 Dollar. Sie wunderte sich über die grossen Unterschiede in den Beiträgen. Also schickte sie jedes Mal die Schecks mit der Bemerkung «void» — unwirksam — zurück. «Hätte ich sie in dem Moment kassiert, hätte ich nie beweisen können, dass sie fehlerhaft ausgestellt waren», sagt die Frau zur «Washington Post».
Sorgfältig sammelte Witter alle Unterlagen in ihren Koffern. Doch wann immer sie das Amt aufsuchte, schickte der Beamte sie für eine Untersuchung zum Psychiater. «Aber ich bin doch nicht verrückt», reklamierte sie. Im letzten Jahr wurde ihr die Sozialberaterin Julie Turner (56) zugewiesen. Diese zeigte sich bereit, Witter zu helfen.
«Wir gingen gemeinsam ihre Unterlagen durch. Es war alles perfekt geordnet», erzählt Turner. Sie kontaktierte die Anwältin Daniela de la Piedra, eine Sozialversicherungsexpertin, die aufgrund des Beweismaterials ebenfalls zum Schluss kam, dass Witter Anrecht auf eine Entschädigung über 100'000 Dollar zugut hatte.
Ein neues Leben in einer Ein-Zimmer-Wohnung
Vergangene Woche gaben die Behörden zu, dass es in Witters Abrechnung Fehler gab. Die Frau erhielt eine erste Rückzahlung über 1464 Dollar, der Rest soll in den kommenden Tagen folgen.
Seit dem 16. August lebt Witter in einer kleinen, einfachen Wohnung. Alles was sie will, ist ein bequemes Bett und ein richtiges Kissen. «Nach so vielen Jahren, die ich auf dem kalten Boden geschlafen habe, tun meine Knochen weh», sagt sie.