
«Ich könnte mein Auto jetzt einfach von der Klippe lenken»: Solche Gedanken erschrecken – sind meist aber ganz normal und harmlos.
PsychologieLenkrad rumreissen? Darum hast du gruselige Gedanken
Schreckliche und moralisch verwerfliche Vorstellungen werden als «intrusive Gedanken» bezeichnet. Das musst du darüber wissen.
- von
- Michelle de Oliveira
Du fährst mit dem Auto auf der Autobahn und überlegst dir plötzlich, wie es wäre, wenn du jetzt einfach das Lenkrad herumreissen würdest. Du bist in einer Sitzung und stellst dir vor, wie du der Kollegin nebenan ihre Kaffeetasse auf den Kopf haust? Oder du spazierst einem Abgrund entlang und spielst mit dem Gedanken, was passieren würde, wenn du jetzt einfach jemanden hinunterschubsen würdest?
Kennst du solche intrusiven Gedanken?

Was wäre, wenn ich die Person dort einfach hinunterschubsen würde?
Intrusive Gedanken sind ungefährlich
Die meisten von uns kennen solche Gedanken. Und sie wurden sogar wissenschaftlich untersucht. Man nennt sie «intrusive Gedanken». Diese oft brutalen, obszönen oder abstossenden Einfälle lösen häufig Scham, Schuld oder Angst aus. «Wie komme ich bloss auf so was?», fragt man sich. Wir interpretieren sie dann oft als Signal für eine düstere Seite in uns, als Charaktereigenschaften, die wir lieber nicht hätten.

Was, wenn ich jetzt im Bus etwas Obszönes schreien würde? Auch das ist ein intrusiver Gedanke.
Falls du solche Situationen kennst, bist du in bester Gesellschaft: Studien haben ergeben, dass neun von zehn Menschen gelegentlich intrusive Gedanken haben. Sie können unangenehm sein, aber sie sind eben auch ganz normal. Und nicht gefährlich.
Fehlinterpretation des Gehirns
Denn wenn du im Bus bist und daran denkst, etwas völlig Unangebrachtes hinauszuschreien, bist du höchst wahrscheinlich meilenweit davon entfernt, es tatsächlich zu tun. Die Forschenden gehen nämlich davon aus, dass es sich bei den intrusiven Gedanken um einen falsch interpretierten Überlebensmechanismus des Gehirns handelt. Der will uns eigentlich warnen und meint also genau das Gegenteil: Reisse jetzt bloss das Steuerrad nicht herum. In dem Moment, in dem du den Gedanken hast, bist du also weit davon entfernt, intrusive Gedanken in die Wirklichkeit umzusetzen. Schliesslich hast du die Vorstellung ja sofort negativ bewertet.

Denkst du daran, plötzlich das Steuer herumzureissen, und erschrickst, wirst du es höchst wahrscheinlich nicht tun.
Dennoch versucht man meistens, die Gedanken so schnell wie möglich loszuwerden und zu verdrängen. Doch sie bleiben oft umso hartnäckiger, je stärker du sie zu bekämpfen versuchst.
Gedanken vorbeiziehen lassen
Besser ist es, solche Gedanken wahrzunehmen, als intrusiv zu erkennen, vielleicht sogar darüber zu schmunzeln und sie wieder vorbeiziehen zu lassen, ohne sie überzubewerten oder sich dafür zu verurteilen.
In manchen Fällen können intrusive Gedanken die Folge von psychischen Erkrankungen sein, etwa eines Traumas oder auch einer Essstörung. Belasten dich diese Gedanken im Alltag stark oder nehmen sie überhand, solltest du dir Hilfe von einer psychologischen Fachperson holen.
Kennst du das Phänomen? Wie gehst du mit solch unangenehmen Gedanken um? Teile deine Tipps mit der Community.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung?
Hier findest du Hilfe:
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
Verein Postpartale Depression, Tel. 044 720 25 55
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
VASK, regionale Vereine für Angehörige
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Angst- und Panikhilfe Schweiz, Tel. 0848 801 109