Stiltsville: das berüchtigte Stelzendorf im Meer vor Miami

Publiziert

Bewegte GeschichteStiltsville – das verrucht-verrückte Stelzendorf vor der Küste Floridas

Der Sunshine State ist nicht erst seit gestern für seine wilden Partys bekannt. Lange bevor Studierende hier am Strand Springbreak feierten, trafen sich Spiel- und Feierfreudige in Stiltsville, einer Art Stadt auf dem Wasser.

1 / 25
Stiltsville hebt sich deutlich von seiner Umgebung ab. Und das nicht nur, weil seine Häuser mitten im Wasser stehen. (Im Bild: das Baldwin Sessions and Shaw House vor der Skyline von Key Biscayne, Florida)

Stiltsville hebt sich deutlich von seiner Umgebung ab. Und das nicht nur, weil seine Häuser mitten im Wasser stehen. (Im Bild: das Baldwin Sessions and Shaw House vor der Skyline von Key Biscayne, Florida)

Getty Images
Der Bauweise der Häuser verdankt Stiltsville seinen Namen: Ein Grossteil von ihnen wurde auf Stelzen errichtet.  (Im Bild: Stiltsville in der Morgensonne und dahinter der Atlantik)

Der Bauweise der Häuser verdankt Stiltsville seinen Namen: Ein Grossteil von ihnen wurde auf Stelzen errichtet.  (Im Bild: Stiltsville in der Morgensonne und dahinter der Atlantik)

NPS/Matt Johnson
Die Gebäude bestehen, anders als die an Land, hauptsächlich aus Holz. Von den zu Hochzeiten 27 Häusern stehen heute nur noch sechs. Eines davon ist das Jimmy Ellenburg House. 

Die Gebäude bestehen, anders als die an Land, hauptsächlich aus Holz. Von den zu Hochzeiten 27 Häusern stehen heute nur noch sechs. Eines davon ist das Jimmy Ellenburg House. 

Wikimedia Commons/Justdweezil/CC BY-SA 3.0

Darum gehts

  • Vor der Küste Floridas ragen Gebäude auf Stelzen aus dem Meer hervor:  Es sind die Überreste von Stiltsville, einer einst stolzen Ansammlung von Stelzenhäusern.

  • Zu Hochzeiten bestand der Ort aus 27 Gebäuden. In ihnen wurde gelebt, getrunken, gefeiert und gezockt.

  • Heute stehen nur noch sechs Häuser. Den anderen haben Hurrikans, Brände und wilde Partys den Garaus gemacht. 

Viel ist von dem einst schillernden Stiltsville nicht übrig geblieben: Von den in besten Zeiten 27 Stelzenhäusern, die im Meer vor der Küste Key Biscaynes (Florida) errichtet wurden, stehen heute nur noch sechs. Die anderen sind in den wenigen Jahrzehnten ihres Bestehens von Hurrikans, Feuern und wilden Partys in die Knie gezwungen worden.

Von alledem gab es hier viel. Der Ort auf dem Wasser, rund eine Meile von der Küste entfernt, galt als «place to be» für alle, die das Leben geniessen wollten – und es mit dem Gesetz nicht ganz so genau nahmen.

Ausgelagerte Verlockungen in Zeiten der Prohibition

Einigen Historikerinnen und Historikern zufolge wurde der Grundstein für Stiltsville in den 1920er-Jahren gelegt, zu Zeiten der Prohibition, als in den USA ein landesweites Verbot von Alkohol herrschte. Er durfte weder hergestellt noch transportiert oder verkauft werden. So wollte es das Gesetz. Doch die Amerikanerinnen und Amerikaner fanden – zum Teil sehr kuriose – Mittel und Wege, ihn weiter zu konsumieren.

So schossen etwa im ganzen Land sogenannte Speakeasys aus dem Boden. Dabei handelte es sich um illegale Kneipen und Bars, die sich nicht um das Gesetz scherten und Hochprozentiges ausschenkten. Der Alkohol stammte unter anderem von der zu Frankreich gehörenden Inselgruppe Saint-Pierre und Miquelon.

Auch die ersten Stelzenhütten könnten zunächst dem Zweck des Alkoholgenusses gedient haben. Denn Stiltsville war nur per Boot – und damit für Kontrolleure schwer – zu erreichen. Ein Umstand, den sich auch spätere Bauherren gefallen liessen. Viele der Hütten dienten als Glücksspiel- und Alkoholhöhlen für Personen, die von staatlichen und nationalen Gesetzen frustriert waren. Ein Überblick über die wichtigsten Stelzenhäuser:

Langusten-Eddies Hütte

Der Erste, der weit draussen auf den Sandbänken vor Florida baute, war Eddie «Crawfish» Walker. Genaugenommen war seine 1933 errichtete «Hütte» ein kleiner Lastkahn, von dem er zunächst Köder und weitere Angelutensilien, später auch eine berühmte Fischsuppe, verkaufte, die ihm seinen Spitznamen bescherte. Denn die Langusten dafür fischte er direkt vor Ort. Gerüchten zufolge hatte er auch geschmuggelten Alkohol und illegales Glücksspiel im Angebot.

Dem Beispiel Langusten-Eddies folgten in den 1930er-Jahren viele Privatleute: Neben Fischerfreunden siedelten sich hier auch Familien an, die Ruhe vor dem rasant wachsenden Miami suchten. Wie Eddie liessen sie dafür Lastkähne auf Grund laufen. Die Gegend nannte sich damals «The Shacks» – die Baracken. Die Hütten von damals werden als einfach beschrieben: Strom und Gas gab es nicht, genauso wenig wie Trinkwasser.

Calvert Club

Im Jahr 1938 wurde der Calvert Club eröffnet. Damit endete die Zeit, in der Stiltsville in erster Linie ein Wohngebiet war. Der Club wurde als «social club» gepriesen, «aber was hinter den geschlossenen Türen geschah, wissen wir nicht», sagt Paul John, Historiker an der University of Miami, gegenüber Pbs.org. Die Kleider, die die Menschen auf Fotos von damals tragen (siehe Bildstrecke oben), sprechen jedoch für einen mondänen Ort.

Quarterdeck Club

Zwei Jahre später eröffnete Commodore Edwin Turner den Quarterdeck Club, der noch grösser und gehypter war als der Calvert Club. Dazu war er exklusiv: Eine Mitgliedschaft war nur durch Einladung möglich. Und die kostete 150 Dollar. Das tat der Beliebtheit keinen Abbruch. Im Gegenteil: Der Ort zählte schon bald zu den beliebtesten Orten Miamis. Das «Life»-Magazin widmete ihm im Jahr 1941 einen Artikel. Darin wurde der Quarterdeck Club als «100’000-Dollar-Spielpalast mit Bar, Lounge, Brückendeck, Speisesaal und Dockslips für Yachten» beschrieben, der sich an jene richtete, «die sich ausschliesslich dem Sonnenlicht, Salzwasser und dem Wohlergehen des menschlichen Geistes verschrieben haben.»

Die guten Zeiten hielten einige Jahre an. Dann folgten Razzien, Besitzerwechsel und ein Ausbau. Dann kamen mehrere Hurrikans und besiegelten nach und nach das Ende. Endgültig Schluss war im Jahr 1961, als der Club auf die nun existierenden Stelzen niederbrannte. Gerüchten zufolge soll die Frau des Besitzers den Club nach einem Eifersuchtsanfall in Brand gesteckt haben.

Bikini Club

1962 eröffnete der sagenumwobene und für damalige Zeiten skandalöse «Bikini Club». Frauen, die nur einen knappen Zweiteiler trugen, erhielten hier kostenlos Drinks. Auch gab es ein Sonnendeck, auf dem sich die Damen hüllenlos bräunen konnten. Lange halten konnte sich der Club nicht: Im Jahr 1965 kam es zu einer Razzia, infolge welcher er schliessen musste. Der Grund: eine fehlende Lizenz zum Getränkeausschank. Zudem wurde beanstandet, dass bei der Durchsuchung Langusten gefunden wurden, die der Club laut der örtlichen Fischereigesetze nicht hätte besitzen dürfen.

Am 8. September des Jahres beschädigte der Hurrikan Betsy die Boote, auf denen der Bikini Club errichtet worden war, schwer. 1966 brannten die Überreste des Bikini Clubs bis zur Wasserlinie ab.

Folgenreiche Stürme, Brände und Partys

Die einmalige Lage von Stiltsville, wie die Bauten auf dem Wasser mittlerweile genannt wurden, ist auch verantwortlich für ihren Untergang: Zunächst fegte im Jahr 1950 Hurrikan King über das Gebiet und riss Eddies Hütte und weitere Gebäude weg. Zehn Jahre später demolierte Hurrikan Donna 20 Häuser, von denen acht wieder aufgebaut wurden. Am 8. September 1965 zerstörte Hurrikan Betsy den grössten Teil von Stiltsville. Die Errichtung von Neubauten wurde daraufhin verboten. Gebäude, die zu mehr als 50 Prozent beschädigt waren, durften nicht wieder in Stand gesetzt werden. 1969 verbot Florida den Gewerbebetrieb.

Im Juni 1992 brach eines der noch verbliebenen Gebäude unter Last einer 150- bis 200-köpfigen Partymeute zusammen und reduzierte die Zahl auf 13. Im selben Jahr verringerte Hurrikan Andrew (1992) sie dann auf sieben. Der letzte Verlust eines Stelzenhauses ereignete sich am 11. Januar 2021, als das sogenannte Leshaw House bis auf die Stelzen abbrannte.

Heute Hotspot für Touristinnen und Touristen

Mitte der 1980er-Jahre wurde der Teil der Bucht, in dem sich die verbleibenden Strukturen befinden, in den Biscayne-Nationalpark eingegliedert. Verwaltet wird er heute vom Stiltsville Trust. Ihm ist zu verdanken, dass die Überreste Stiltsvilles noch existieren. Denn eigentlich hätten die letzten erhaltenen Bauten 1999 abgerissen werden sollen. Doch das konnte der Trust nach jahrelangen Streitigkeiten im Jahr 2003 endgültig verhindern – zum Glück, wie Historiker Paul John sagt: «Der Ort hatte eine Aura, eine schurkische, schelmische Vergangenheit. Und gleichzeitig war es ein Ort, an dem die Menschen es sich einfach gut gehen lassen konnten.» Es wäre ein «schrecklicher Verlust» gewesen. 

Die letzten sechs Gebäude – das Jimmy Ellenburg House, das A-Frame House, das Baldwin, Sessions & Shaw House, das Bay Chateau, das Hicks House und der Miami Springs Power Boat Club – können mit einer Genehmigung per Boot besucht werden.

Von den einst 27 Stelzenhäusen stehen heute noch sechs: das Jimmy Ellenburg House (A), das A-Frame House (B), das Baldwin, Sessions & Shaw House (C), das Bay Chateau (E), das Hicks House (F) und der Miami Springs Power Boat Club (G). Das Leshaw House (D) existiert leider nicht mehr. Es wurde am 11. Januar 2021 durch ein Feuer zerstört.

Von den einst 27 Stelzenhäusen stehen heute noch sechs: das Jimmy Ellenburg House (A), das A-Frame House (B), das Baldwin, Sessions & Shaw House (C), das Bay Chateau (E), das Hicks House (F) und der Miami Springs Power Boat Club (G). Das Leshaw House (D) existiert leider nicht mehr. Es wurde am 11. Januar 2021 durch ein Feuer zerstört.

Wikimedia Commons/Mgreason/PD

Würdest du Stiltsville gerne mal besuchen?

Wissen-Push

Abonniere in der 20-Minuten-App die Benachrichtigungen des Wissen-Kanals. Du wirst über bahnbrechende Erkenntnisse und Entdeckungen aus der Forschung, Erklärungen zu aktuellen Ereignissen und kuriose Nachrichten aus der weiten Welt der Wissenschaft informiert. Auch erhältst du Antworten auf Alltagsfragen und Tipps für ein besseres Leben.

So gehts: Installiere die neueste Version der 20-Minuten-App. Tippe oben rechts aufs Einstellungs-Menü (drei Striche mit Kreis), dann «Einstellungen» und schliesslich auf «Push-Mitteilungen». Wähle die gewünschten Themen aus und klicke dann «Weiter». Wähle nun, falls gewünscht, eine Region aus und klicke «Weiter». Beim Punkt «Themen» kannst du jetzt «Wissen» auswählen. «Bestätigen» klicken und du bist dabei!

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung

0 Kommentare