MinimalkonsensStreit um Deutung von «Kopenhagen» entbrannt
Der Weltklimagipfel in Kopenhagen hat sich auf einen Minimalkonsens geeinigt. Um sich nicht klar für oder gegen die Erklärung der Regierungschefs aussprechen zu müssen, nahmen die Delegierten diese lediglich «zur Kenntnis». Wie soll die Konferenz gedeutet werden? Für Bundesrat Moritz Leuenberger ist sie ein Erfolg. Keine Freude haben die Umweltorganisationen.
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- rub
Die Konferenz beschloss am Samstagvormittag, die am Vorabend von Staats- und Regierungschefs ausgehandelte politische Erklärung, den sogenannten Copenhagen Accord, zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Vorschlag der Präsidentschaft wurde am Samstagvormittag ohne Einspruch gebilligt. Damit könne die Erklärung in den UN-Prozess aufgenommen werden, sagte der Sprecher des UN-Klimasekretariats, John Hay. Jedes Land kann nun einzeln überlegen, ob es den Text annimmt oder nicht. Die Vereinbarung war im Wesentlichen von US-Präsident Barack Obama mit China, Indien, Südafrika und der EU ausgehandelt worden.
Vor der Kenntnisnahme hatten sich einige Staaten heftig gewehrt, die Erklärung selbst vom Plenum der Konferenz billigen zu lassen. Widerstand gegen eine solche inhaltliche Zustimmung kam vor allem aus dem Inselstaat Tuvalu, Sudan, Kuba, Bolivien und Venezuela. Die Sitzung war wegen dieses Grundsatzstreits stundenlang unterbrochen. Die Gruppe der Entwicklungsländer bezeichnete das Verfahren an der Konferenz auch als undemokratisch. Der dänische Ministerpräsident Lars Loekke Rasmussen hatte daraufhin die Konferenzleitung abgegeben.
Politisch nicht bindend
Mit der am Samstag gefundenen Notlösung ist die Wirkung des Vertrags international drastisch abgeschwächt worden. Schon kurz vor der Klimakonferenz war statt eines ursprünglich geplanten rechtlich bindenden Vertrags ohnehin nur eine politische Vereinbarung angestrebt worden. Der neue Kompromiss ist nun jedoch nicht einmal politisch bindend.
Die Kopenhagen-Vereinbarung enthält nur sehr vage Klimaschutzziele. Die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad, die Wissenschaftler für dringend notwendig halten, soll lediglich «berücksichtigt» werden. Es ist nicht gelungen, verbindliche Ziele zu vereinbaren. So fehlt die Ansage, dass der Ausstoss von Treibhausgasen bis 2050 halbiert werden muss, obwohl dies als Voraussetzung für das Zwei-Grad-Ziel gilt. Die Industrieländer sollen nationale Klimaschutzziele vorlegen.
Kurz- und langfristige Finanzhilfen der reicheren Staaten für die Entwicklungsländer sind vorgesehen, bindende Verpflichtungen für aufstrebende Staaten wie China oder Indien aber nicht. Weitere Details sollen im kommenden Jahr bei Konferenzen in Bonn und Mexiko geklärt werden.
Leuenberger: Fortschritt und Hoffnung
Der Schweizer Umweltminister Moritz Leuenberger hat das Resultat des UNO-Klimagipfels in Kopenhagen als Erfolg gewertet. Zwar sei kein verbindlicher Vertrag unterzeichnet worden. Die eingegangenen Verpflichtungen bedeuteten aber Fortschritt und Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel, sagte der Bundesrat vor den Medien in Kopenhagen.
Leuenberger hob drei wichtige Punkte der erzielten Vereinbarung hervor: «Mehrere Länder, die zusammen für über 90 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich sind, haben sich zu einer freiwilligen Reduktion ihrer Emission verpflichtet.»
«Zudem genehmigten sie Instrumente zur Überprüfung dieser Reduktion sowie zur Kontrolle der Finanzierung und des Technologietransfers», sagte der Umweltminister. Einige Länder hätten ausserdem Finanzhilfen zugesagt: kurzfristig sollten ab 2010 zehn Milliarden Dollar pro Jahr fliessen, langfristig gehe es um hundert Milliarden Dollar jährlich.
Allerdings bedauerte Leuenberger, dass die Konferenz die Vereinbarung nur zur Kenntnis genommen und nicht einstimmig gebilligt hat.
Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Vereinbarung als «guten Start» bezeichnet. «Endlich haben wir eine Übereinkunft», sagte Ban am Samstag beim Weltklimagipfel. «Mir ist klar, dass viel mehr notwendig sein wird, um den Pfad der Erderwärmung zu verlassen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.»
CARE: Scheitern besser als fauler Kompromiss
«Die von der Klimakatastrophe besonders betroffenen Entwicklungsländer haben gut daran getan, dem gestern von 25 Staats- und Regierungschefs erarbeiteten Vorschlag nicht zuzustimmen, sondern das Papier nur mit Empörung zur Kenntnis zu nehmen», erklärte der Vorsitzende von CARE Deutschland-Luxemburg Heribert Scharrenbroich. Ein ehrliches Scheitern sei hilfreicher und zielführender als ein Verkleistern des Problem durch einen faulen Kompromiss.
Das Scheitern solle als ein starkes Signal an die Regierungen und Bevölkerungen der Hauptverhinderer einer verantwortlichen Lösung, namentlich China, Indien, Japan und die USA verstanden werden «Den Entwicklungsländern kommt jetzt eine wichtige Rolle zu, China klar zu machen, dass es sein Ansehen als angeblicher Verteidiger afrikanischer Interessen bei Beibehaltung dieser Position verspiele.»
Enttäuschung beim WWF
Die Umweltorganisation WWF hat das Ergebnis des Kopenhagener Klimagipfels als unzureichend kritisiert. Es handele sich um einen «halbgaren Text mit unklarer Substanz», erklärte der Verband am Samstag in Kopenhagen. Damit fiel die Kritik etwas weniger vernichtend aus als bei anderen Umweltschützern.
«Kopenhagen war am Rand des Scheiterns», erklärte WWF-Experte Kim Carstensen. Er machte dafür fehlende Führung und fehlenden Ehrgeiz verantwortlich. «Gut gemeinte, aber halbherzige Zusagen, unseren Planeten vor einem gefährlichen Klimawandel zu bewahren, reichen einfach nicht.» Nötig sei eine völlig neue Zusammenarbeit zwischen reichen und armen Ländern.
«Furcht vor der Zukunft» bei Greenpeace
Greenpeace hat sich tief enttäuscht über das Ergebnis der Klimakonferenz von Kopenhagen geäussert. Er habe nun «Furcht vor der Zukunft», sagte der Chef von Greenpeace International, Kumi Naidoo, am Samstag «Spiegel-Online». «Ich habe keine Ahnung, was uns wieder zurückbringen könnte auf einen guten Pfad, und Angst, dass wir die grösste Gelegenheit zu einem Umsteuern verpasst haben.»
Er verlasse Kopenhagen «mit dem Gefühl, dass die ärmsten und vom Klimawandel betroffenen Menschen betrogen wurden». Besonders enttäuscht zeigte sich Naidoo von den USA. «Die haben doch tatsächlich kümmerliche vier Prozent Treibhausgas-Reduzierung angeboten, wenn man sich die Zahlen richtig betrachtet und mit dem Referenzjahr 1990 vergleicht. Sie haben auch die geringste Summe bei der Soforthilfe für die Entwicklungsländer geboten.»
Der gesamte Klimaprozess müssen noch vor dem nächsten Klimagipfel 2010 in Mexiko gerettet werden. «Wir verlieren doch schon jetzt Menschenleben wegen des Klimawandels. Und dann kommt eine Absichtserklärung heraus, die so grosse Löcher hat, dass man mit der Air Force One hindurchfliegen könnte», sagte der Umweltschützer. (rub/sda/dapd)
Weltklimakonferenz offiziell beendet
Die Weltklimakonferenz von Kopenhagen ist am Samstagnachmittag nach 13 Tagen offiziell zu Ende gegangen. Zuvor hatten die Delegierten aus 193 Staaten noch einmal stundenlang über den sogenannten Copenhagen Accord debattiert, den sie bereits am Vormittag offiziell «zur Kenntnis» genommen hatten. (AP)