«Reine Angstmacherei»SVP warnt vor tödlichen Erregern aus Afrika
Auf Twitter warnt die SVP, dass Migranten aus Afrika tödliche Krankheitserreger in die Schweiz einschleppen würden. Experten widersprechen.
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Ein Tweet vom offiziellen Account der SVP Schweiz sorgt für Kritik. «Wirtschaftsmigranten aus Afrika belasten nicht nur unsere Sozialwerke massiv, sie schleppen auch tödliche Krankheitserreger ein, die in der Schweiz beinahe ausgerottet waren», schrieb die Partei.
Zunahme von Tuberkulosefällen in der Schweiz
Verlinkt wird ein «NZZ am Sonntag»-Artikel, der sich umfassend mit der Infektionskrankheit Tuberkulose auseinandersetzt. «Weltweit gibt es keinen grösseren Killer», so Daniel Paris, Tropenmediziner und Leiter des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts (Swiss TPH) gegenüber der Zeitung. So sterben jährlich 1,6 Millionen Menschen an Tuberkulose – mehr als an HIV und Malaria zusammen.
Auch in der Schweiz nehmen die Krankheitsfälle seit 2007 wieder zu, nachdem sie jahrelang rückläufig waren. Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) tritt ein Drittel der Fälle heute bei Flüchtlingen auf.
SVP fürchtet um Gesundheit der Schweizer Bevölkerung
Diese Zahlen beunruhigen auch SVP-Nationalrat Adrian Amstutz, welcher zwei Vorstösse zu diesem Thema lancierte. Er mache sich Sorgen, dass die Migration die Tuberkulose in der Schweiz reaktivieren und die Schweizer Bevölkerung bedrohe, so der Nationalrat. Tropenmediziner Paris sagt denn auch, dass Amstutzs Ängste nicht unbegründet seien. Es sei tatsächlich so, dass fast alle Fälle einer multiresistenten Tuberkulose-Erkrankung aus dem Ausland importiert würden.
Auf dieser Grundlage verfasste die SVP ihren Tweet. Nur: Der weitere Verlauf des Artikels sowie weitere Aussagen desselben und weiterer Experten wurden ausgeblendet. So relativierte Tropenmediziner Paris seine Aussage sogleich im nächsten Satz: «Doch die Lösung des Problems liegt nicht dort, wo Herr Amstutz sie wohl vermutet.»
Geringes Ansteckungsrisiko
So wurde aus Studien in Flüchtlingslagern ersichtlich, dass Tuberkulose unter normalen Bedingungen nicht sehr ansteckend ist. Für eine erfolgreiche Übertragung muss man Tuberkulosebakterien während mehrerer Stunden ausgesetzt sein. Weiter gilt: Je mehr Menschen sich in einem Raum aufhalten und je schlechter dieser belüftet wird, desto höher ist das Risiko einer Übertragung. Solche Lebenssituationen sind in der Schweiz kaum anzutreffen, ganz im Gegensatz zu jenen in ausländischen Flüchtlingslagern.
Für Paris ist deshalb klar, dass es eine gute Migrationsmedizin braucht und die Tuberkulose-Forschung wieder in den Fokus rücken müsse. Wir müssten besser verstehen, was am Ursprung der Migration passiere. «Ich denke, das ist die richtige Antwort auf die Angst der SVP. Was wir brauchen, sind gute Diagnosemethoden, eine gute Früherkennung, neue Medikamente und eine bessere Impfung», so Paris.
«Reine Angstmacherei»
Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim BAG, sagt der «NZZ am Sonntag», eine Bedrohung für die Schweizer, wie das Amstutz vermute, sei die Tuberkulose nicht. «Ich halte das für reine Angstmacherei. Wenn die Tuberkulose so hochansteckend wäre, dann hätten wir Schweizer, die ja Weltmeister im Reisen sind, ein Riesenproblem.»
So sei die Tuberkuloserate in den meisten Ländern sehr viel höher als in der Schweiz. Ob Asylsuchende mit oder ohne Tuberkulose in die Schweiz kommen, ändere an der Zahl der Schweizer mit Tuberkulose überhaupt nichts, so Koch.
«Das Virus der Fremdenfeindlichkeit ist gefährlicher»
Dementsprechend fielen auch die Kommentare auf den Tweet der SVP negativ aus. So findet User @EdgarMarsch: «Das Virus der Fremdenfeindlichkeit ist viel gefährlicher als Tuberkulosebakterien. Gegen den gibts kein Heilmittel. Leider!»
User @redder66 versucht es zuerst mit Ironie und schliesst seinen Kommentar so: «Man sieht, wo ihr eure menschlichen Werte habt. Im Arsch.»
In anderen Kommentaren verweisen die User auf die kommenden Wahlen im Herbst. «So ein Schwachsinn. Liebe SVP, ihr solltet mal schnell herausfinden, wo die echten Probleme in unserem Land liegen, sonst wird das ein ziemliches Debakel im Herbst», so Userin @Schwippfamilie. Ähnlich formuliert es User @Peter_Staempfli und verweist auf den kürzlichen Skandal um SVP-Nationalrat Andreas Glarner:
Die SVP war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.