Aufstände in Nahost: «Tage des Zorns» in der arabischen Welt

Aktualisiert

Aufstände in Nahost«Tage des Zorns» in der arabischen Welt

Erst Tunesien, dann Ägypten, jetzt Libyen: Überall in Nordafrika und im Nahen Osten brodelt es, immer mehr Länder schliessen sich den Protesten an. Ein Überblick.

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Ägypten: Zwei Wochen nach dem Sturz von Hosni Mubarak kehrt das Land zur Normalität zurück. Die Kairoer Börse soll nach einmonatiger Schliessung wieder öffnen. Gleichzeitig kommt es auf dem Tahrir-Platz noch immer zu Protesten gegen den noch von Mubarak eingesetzten Ministerpräsidenten Ahmed Schafik. Im Süden des Landes kam es am Sonntag bei Protesten gegen die Korruption zu Ausschreitungen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, kündigte seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl in diesem Jahr an.

Algerien: Hunderte Polizisten verhinderten am Samstag in der Hauptstadt Algier Proteste von Regierungsgegnern. Die Demonstranten wurden nicht zum Märtyrer-Platz durchgelassen, auf dem sie sich zu einer Kundgebung versammeln wollten. Erst am Donnerstag hatte die Regierung den seit 19 Jahren geltenden Ausnahmezustand offiziell aufgehoben. Nach Angaben des Innenministeriums sind Protestmärsche in Algier aber weiter verboten.

Bahrain: Bei Zusammenstössen mit Sicherheitskräften sind bislang mindestens sieben Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Der sunnitische König Hamad bin Issa al-Chalifa hatte vergangene Woche mehr als 300 Oppositionelle aus der Haft entlassen, um die Proteste einzudämmen. Die schiitische Opposition fordert einen Rücktritt der Regierung als Bedingung für einen vom Königshaus angebotenen Dialog. Der Formel-1-GP von Bahrain vom 13. März musste wegen den Unruhen abgesagt werden.

Irak: Zehntausende gingen am letzten Freitag in mehreren Städten auf die Strasse, um gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und einen mangelhaften öffentlichen Dienst zu demonstrieren. Regierungskräfte eröffneten das Feuer und töteten mindestens 11 Menschen. Ministerpräsident Nuri al-Maliki kündigte eine Untersuchung an. Er setzte seinen Ministern eine Frist von hundert Tagen, um eine Bilanz ihrer Arbeit zu ziehen.

Iran: Der Aufruhr hat auch auf den Iran übergegriffen. Die Opposition hatte zu Protesten gegen die Regierung am 14. Februar aufgerufen und sieht sich seitdem verstärkten Repressionen ausgesetzt. Die Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi sollen aus ihren Häusern verschleppt und an einen unbekannten Ort gebracht worden sein. Präsident Mahmud Ahmadinedschad dagegen hat sich letzte Woche empört über die Gewalt in Libyen gezeigt und die Aufstände in den arabischen Ländern gelobt.

Jemen: Für den umstrittenen Präsidenten Ali Abdullah Saleh wird es immer enger: Mehrere mächtige Stammesführer schlossen sich der Opposition an. In etlichen Städten des Landes versammelten sich am Samstag hunderttausende Menschen zu den bislang grössten Kundgebungen seit Beginn der Proteste. Bei heftigen Zusammenstössen in der Stadt Aden wurden mindestens vier Menschen getötet. Nach langem Zögern haben sich am Sonntag zudem die grössten Oppositionsparteien im Jemen den Protesten gegen Saleh angeschlossen.

Jordanien: Bei der bislang grössten Kundgebung in der Hauptstadt Amman forderten am Freitag rund 4000 Demonstranten Neuwahlen. Oppositionsführer Hamsa Mansur verlangte politische Reformen und nannte die bisherigen Bemühungen der Regierung zu langsam. Zudem solle der Ministerpräsidenten künftig in allgemeinen Wahlen bestimmt werden und nicht wie bisher von König Abdullah II. In Jordanien finden seit acht Wochen jeden Freitag Kundgebungen für mehr politische Freiheit statt.

Kuwait: Selbst das ölreiche Emirat wird nicht von Protesten verschont: Bei Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften wurden Mitte Februar nach Angaben aus Sicherheitskreisen 30 Menschen verletzt. In mehreren Städten forderten staatenlose Beduinen die Staatsbürgerschaft und Zugang zu den kostenlosen Sozialleistungen. Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas gegen die Protestierenden vor. Letzte Woche erklärte die Regierung, man arbeite an einer Lösung des Problems.

Libyen: Noch vor kurzem galt der seit 42 Jahren herrschende Diktator Muammar al Gaddafi als «unantastbar». In den letzten zwei Wochen jedoch hat die Opposition fast das gesamte Land unter ihre Kontrolle gebracht. Diplomaten, Minister und Militärs sind übergelaufen. Gaddafi sitzt in der Hauptstadt Tripolis fest, er hat einen Kampf «bis zum letzten Blutstropfen» angekündigt. Der UNO-Sicherheitsrat hat einstimmig Sanktionen gegen den Gewaltherrscher beschlossen und den Internationalen Strafgerichtshof eingeschaltet.

Marokko: Im ärmsten Maghreb-Staat haben letzte Woche erstmals zehntausende Menschen für Reformen und eine Beschränkung der Macht von König Mohammed VI. demonstriert. Die Proteste verliefen zunächst friedlich, endeten vielerorts jedoch mit Krawallen. In der Stadt El Hoceima im Norden des Landes kamen fünf Menschen in einer in Brand gesetzten Bankfiliale ums Lebe. Am Sonntag kam es in mehreren Städten erneut zu Kundgebungen und teilweise zu Ausschreitungen.

Oman: Im Golf-Sultanat ist es am Montag den dritten Tag in Folge zu Protesten gekommen. Bislang soll es sechs Tote gegeben haben. Die staatliche Nachrichtenagentur Ona berichtete hingegen von einem Toten. Die Oppositionellen fordern mehr Arbeitsplätze und stärkeres politisches Mitspracherecht. Sultan Kabus bin Said ordnete am Sonntag die Schaffung von 50 000 neuen Regierungsstellen an sowie monatliche Bezüge für Arbeitssuchende von 150 Rial (knapp 400 Franken). Ausserdem hatte er sechs Kabinettsmitglieder ausgetauscht.

Saudi-Arabien: In dem erzkonservativen Königreich haben einflussreiche Intellektuelle König Abdullah II. zu weitreichenden politischen und sozialen Reformen aufgefordert. So sollen die Frauen mehr Rechte erhalten. Abdullah hat eine Aufstockung der Finanzhilfen für seine Untertanen angekündigt – ein Paket, dessen Gesamtumfang auf umgerechnet 36 Milliarden Franken geschätzt wird. Es wird vermutet, dass er damit möglichen politischen Unruhen im Land zuvorkommen will.

Sudan: Präsident Omar Hassan al Baschir will bei der nächsten Wahl 2015 nicht mehr kandidieren. Er ist seit einem Putsch 1989 an der Macht. Anfang des Monats akzeptierte Baschir das Votum für einen unabhängigen Südsudan. Ende Januar hatte es zudem Proteste von Studenten gegeben.

Syrien: Im Online-Netzwerk Facebook ruft eine Seite namens «Die syrische Revolution gegen Baschar al Assad 2011» zu friedlichen Demonstrationen in allen Städten Syriens auf. Der Termin der geplanten Massendemonstrationen werde noch «mit Sorgfalt geprüft» und in einigen Tagen mitgeteilt, liessen die Urheber verlauten. Ein erster Aufruf zu Demonstrationen gegen das autokratische Regime wurde Anfang Februar von den Sicherheitskräften im Keim erstickt. Präsident Assad kündigte in Interviews Reformen an.

Tunesien: Das kleine Land, in dem die Protestbewegung ihren Anfang nahm, kommt nicht zur Ruhe. Am Wochenende kam es in Tunis zu blutigen Zusammenstössen zwischen Polizei und Demonstranten, bei denen allein am Samstag fünf Menschen getötet wurden. Am Sonntag gab Interimsregierungschef Mohammed Ghannouchi dem wochenlangen Druck nach und erklärte seinen Rücktritt. Die Demonstranten zeigten sich nicht zufrieden, sie wollen bis zur Bildung einer verfassunggebenden Versammlung weiter protestieren.

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