Siedlungs-Coach«Tatsächlich gab es mal in einem Waschsalon Streit»
Sie ist Animatorin, Vermittlerin und gute Freundin in einem: Ex-SP-Kantonsrätin Sabine Ziegler blickt auf ihr erstes Jahr als Coach in der Öko-Siedlung Futura in Schlieren ZH zurück.
- von
- rom
Frau Ziegler, Sie sind seit einem Jahr Siedlungs-Coach in der damals neu bezogenen Schlieremer Öko-Siedlung Futura – was hat Sie in dieser Zeit am meisten überrascht?
Dass die Bildung einer Gemeinschaft total vielschichtig ist. Man bringt nicht alle Bewohner zusammen, sondern es gibt am Ende mehrere Gruppen. Es handelt sich aber nicht um Parallelgesellschaften.
Also ist das Experiment gescheitert?
Überhaupt nicht. Der Punkt ist, dass es in unserer Siedlung keine Monokultur gibt – anders als in neuen Wohnformen von Genossenschaften wie der Kalkbreite, wo viele Bewohner ähnlich ticken. Bei uns wohnen einerseits Migranten mit ihren eigenen Grossfamilienstrukturen, andererseits Expats und natürlich auch die Ur-Schweizer. Jede Gruppe hat ihre eigenen Bedürfnisse.
Die da wären?
Nehmen wir die Migranten und Expats – da vermittle ich ganz klassisch zwischen ihrer und der Schweizer Kultur. Expats wollen zusätzlich von mir wissen, wo sie was kaufen können oder wie man ein Postcheck-Konto eröffnet – die Gemeinschaft bedeutet für sie Zugang zu Kontakten.
Diese finden aber auch untereinander statt?
Selbstverständlich. Kürzlich fragte ich einen neu zugezogenen Holländer, ob er seine Nachbarn – Italiener und Deutsche – schon kenne. Er sagte, sie seien einfach vorbeigekommen, hätten sich mit Vornamen vorgestellt. Er fand das cool und sehr untypisch für Schweizer. So muss es sein, unkompliziert.
Bei der Bezeichnung Siedlungs-Coach denkt man automatisch an eine Mediatorin. Werden Sie auch gerufen, wenn sich die Bewohner in der Waschküche an die Gurgel gehen?
Tatsächlich gab es in einem der Waschsalons – so heisst das bei uns – mal Knatsch. Doch glücklicherweise braucht es mich selten zum Streitschlichten.
Sondern wofür?
Unter meinen Fittichen sind die Elektrovelos und die beiden Autos zum Ausleihen – beides übrigens sehr beliebt. Weiter bin ich Beraterin, Tipp-Geberin, Integrationsvermittlerin, aber auch soziale Animatorin.
Womit animieren Sie die Bewohner zur Gemeinschaft?
Ein grosser Erfolg sind die 28 Gärten, wo man Gemüse und Früchte zieht. Angebaut wird biologisch. Na ja, fast immer jedenfalls – ab und zu wird schon mal Gift gespritzt. Dann organisiere ich etwa Grillabende oder im Gemeinschaftsraum kleine Konzerte und Fotoausstellungen. Es gibt auch regelmässig Vorträge von Externen oder ein Kinder-Kino.
Und die Bewohner schätzen das alles?
Unterschiedlich. Das Yoga beispielsweise musste ich mangels Nachfrage nach einem halben Jahr einstellen. Doch kaum war das Angebot gestrichen, beklagten sich schon die Ersten darüber. Mein Anspruch ist, auch den Erwachsenen etwas zu bieten – ich möchte nicht bloss den simpelsten Weg wählen und Kindergeburtstagspartys ausrichten.
Wenn nun jemand nichts hält von Gemeinschaft – hat er dann ein Problem in der Futura-Siedlung?
Nein. Wer zurückgezogen leben oder andere Kontakte pflegen möchte, kann das tun. Gemeinschaft ist kein Muss. Selbst ich kenne nicht alle Bewohner.
Ihre Anstellung ist auf ein Jahr befristet. Überlassen Sie die Futura-Bewohner demnach bald ihrem Schicksal?
Natürlich nicht. Ich verhandle mit der Eigentümerin gerade über eine Verlängerung. Gemeinschaftsbildung braucht mindestens drei Jahre, heisst es in der Theorie. Und ich bin überzeugt, dass unser Modell Schule machen wird. Wer an seinem Wohnort happy ist, fährt weniger in der Weltgeschichte herum und spart somit Ressourcen.
Apropos Ressourcen sparen: Sie selber wohnen nicht in der Siedlung, sondern in Zürich. Warum eigentlich?
Ich wohne in einem Atelier beim Bahnhof Stadelhofen. Diesen Altbau verlasse ich ungern. Doch ich könnte mir durchaus vorstellen, hier zu leben. Die Siedlung hat Charme.
Sabine Ziegler studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich und arbeitet unter anderem als Mediatorin und PR-Beraterin. Für die SP politisierte die 49-Jährige von 1999 bis 2014 im Zürcher Kantonsrat, wo sie sich vor allem im Bereich Energiepolitik einen Namen gemacht hat. Als Siedlungs-Coach ist sie in einem 60%-Pensum tätig. Die Stelle wird über die Mietzinse der Bewohner finanziert. Die Futura-Siedlung umfasst 94 Wohnungen. Entwickelt wurde sie von der französisch-schweizerischen Firma Ecofabourgs, Eigentümer ist Next Immobilier mit Sitz in Lausanne.