«Die Liegenden»«Teenies sind wie Ausserirdische»
Der italienische Schriftsteller Michele Serra über handysüchtige Jugendliche und die Hilf- und Ratlosigkeit von Teenie-Eltern.
- von
- R. Kayser

Sie chillen auf dem Sofa, hängen am Handy und schotten sich von den Eltern ab: Jugendliche leben laut Michele Serra in einer anderen Welt.
Michele Serra, in Ihrem Buch wundert sich der Vater über den Alien in seinem Haus – seinen Sohn. Warum beschreiben Sie Teenies als Ausserirdische?
Die Jugendlichen sind in einem Alter, in dem sie tatsächlich Aliens zu sein scheinen. Und zwar nicht nur für die Eltern, die plötzlich ihre eigenen Kinder nicht mehr wiedererkennen, sondern manchmal auch für sich selbst. Die Jugendlichen sind unterwegs auf der Suche nach jemandem, der noch gar nicht existiert: dem Erwachsenen in sich.
Der Vater versucht erfolglos, eine Beziehung zu seinem 18-jährigen Sohn aufzubauen. Warum ist es so schwierig, Teenies zu erziehen?
Wenn ich das wüsste, hätte ich dieses Buch nicht geschrieben. In der Jugend gibt es irgendetwas Mysteriöses, das wir Eltern nicht verstehen. Mein Buch erzählt von der Stille und Verschwiegenheit des Sohnes gegenüber seinem Vater und von dessen Obsession, diese interpretieren zu wollen.
Wie sollten denn die Eltern mit ihren pubertierenden Kindern umgehen?
Ich habe nicht die geringste Ahnung. Der Vater meines Buches ist hilflos und weiss nicht, wie er seinem Sohn begegnen soll. Er ist ein Vater, der auf eine kollegiale und nicht auf eine autoritäre Weise auf seinen Sohn zugeht. Er hat jedoch den Verdacht, dass der Sohn lieber einen autoritären Vater vor sich haben würde – einen mit dem er streiten und Konflikte austragen und letztlich daran wachsen könnte. Doch der Vater ist ein aufrichtiger Vater, er kann nicht vorgeben, jemand zu sein, der er nicht ist.
Der Generationenkonflikt spielt in Ihrem Buch eine wichtige Rolle. Wer ist dafür verantwortlich: Die handysüchtigen Jugendlichen oder die unsicheren Eltern, die ihre Kinder kontrollieren wollen?
Beide. Aber vor allem die Eltern, die vorgeben, kontrollieren zu können, was man gar nicht kontrollieren kann. Wenn ein Kind heranwächst, müssen Eltern sich mit dessen neuer Andersartigkeit abfinden, ohne zu versuchen, sie zu verstehen oder zu kontrollieren. Das wäre nicht nur falsch, sondern vor allem auch aussichtslos.
Der Vater denkt oft an seine eigene Kindheit zurück und sagt, dass der Generationenunterschied damals noch nicht so gross gewesem ist. Ist er dabei nicht einfach nur nostalgisch?
Er erinnert sich, dass seine Kindheit stärker vom Leben der Erwachsenen abgetrennt war. Man blieb länger Kind, mit weniger Rechten, weniger Freiheiten und weniger Geld als die Jungen von heute. Man war weniger «Kollege» der Eltern. Ein beliebter Witz in Italien besagt, dass die Generation der 1950er-Jahre die erste war, die zuerst den Eltern und dann den Kindern gehorchen musste.
Gibt es denn wirklich keinen Weg, die Kluft zwischen Eltern und Teenies zu überwinden?
Diese Kluft ist eine ganz natürliche Krise. Wir Eltern müssen sie akzeptieren und die Illusion aufgeben, dieses Problem verstehen oder lösen zu können. Das Leben löst die Sachen von selbst. Die Kinder werden zu Erwachsenen und oft verbessert sich dann die Beziehung zu ihren Eltern wieder. Manchmal geschieht das aber erst, wenn die Eltern sehr alt sind oder sogar schon tot.
Sie haben selbst eine Tochter und drei Söhne. Ist das ein autobiografisches Buch?
Das Buch hat sicherlich einen autobiografischen Kern, als vierfacher Vater habe ich viele eigene Erfahrungen mit einfliessen lassen. Aber meine Geschichte ist voll mit literarischen Erfindungen. Das ist das Schöne an der Literatur: Sie kann schummeln, die Karten neu mischen und erfinden. Zum Glück ist ein Schriftsteller nicht an die Wahrheit gebunden ...

Zum Buch
Das Buch «Die Liegenden» handelt von den Problemen des Zusammenlebens eines Vaters mit seinem 18-Jährigen Sohn. Für den Vater ist der Junge ein Alien, ein Fremder in seinem Haus, den er nicht mehr erkennt. Zudem beschreibt er seinen Sohn als einen «Liegenden», weil er ständig auf dem Sofa herumliegt und am Handy hängt. Der Vater versucht erfolglos, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen – doch der Generationenkonflikt sitzt zu tief. «Die Liegenden» wurde in Italien ein Überraschungserfolg und verkaufte sich dort über 350000 Mal.
(Bild: Diogenes Verlag)

Michele Serra, ist 1954 in Rom geboren und lebt in Mailand. Er ist verheiratet und hat eine Tochter und drei Söhne. In Italien ist Serra ein bekannter Autor und Journalist. Neben Theaterstücken, Gedichten, Kurzgeschichten und Romanen schreibt er regelmässig Kolumnen für «La Repubblica» und «L'Espresso». (Bild: Archiv Diogenes Verlag)