Aufenthaltsbewilligung verweigertTessin will arbeitende Italiener loswerden
Hausdurchsuchungen bei Tag und Nacht: Im Tessin inspizieren die Behörden die Kühlschränke von Ausländern und wühlen im Müll. Der Lega-Hardliner Norman Gobbi geht rigoros vor.
- von
- Fabian Pöschl
Darum gehts
- Seit 2014 hat sich die Zahl der abgelehnten Aufenthaltsanträge im Tessin von jährlich 367 auf 908 fast verdreifacht.
- Verantwortlich dafür ist der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi.
- Der Lega-Hardliner lässt die Behörden die Häuser von Ausländern inspizieren.
Ausländer im Tessin bangen um ihr Aufenthaltsrecht. Ein Italiener musste nach 15 Jahren Arbeit in der Schweiz das Land verlassen, weil er als Jugendlicher in Italien wegen Hanfverkaufs verurteilt wurde. Ein weiterer erhält keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, weil er einige Nächte bei der Freundin in Italien schlief und deshalb seinen Lebensmittelpunkt nicht hier habe, wie die italienische Ausgabe von «Business Insider» schreibt.
Auf sozialen Medien sorgen die Entscheide der Tessiner Behörde für Unmut. «Italien bringt das Geld in die Schweiz, und was machen sie? Die Schweizer zuerst», schreibt eine Nutzerin.
Hinter dem harten Kurs gegen Ausländer steht der zuständige Leiter des Tessiner Justizdepartements und Regierungspräsident, Norman Gobbi. Der Hardliner von der Rechtspartei Lega dei Ticinesi geht dabei rigoros vor, um zu kontrollieren, ob die Personen ihren Lebensmittelpunkt wie vorgeschrieben in der Schweiz haben.
Gobbi will Strafregister sehen
Ausländer im Tessin müssen auf Initiave von Norman Gobbi seit 2015 ihren Strafregisterauszug vorlegen, wenn sie eine Aufenthaltsbewilligung beantragen oder erneuern möchten. Damit wollten die Behörden verhindern, dass Menschen einreisen, die eine Bedrohung für das Land darstellen könnten. Wird der Antrag abgelehnt, können sich Betroffene gegen den Entscheid des kantonalen Migrationsdienstes wehren, zuerst indem sie beim Rechtsdienst des Staatsrates Beschwerde erheben, dann beim Tessiner Verwaltungsgericht und letztlich beim Bundesgericht. Die Verifizierungsbehörden hiessen im vergangenen Jahr laut Gobbi 50 dieser Einsprachen gut. Rechtsanwalt Paolo Bernasconi rät Betroffenen deshalb zur Beschwerde.
Hunderte Besuche der Polizei
Gobbi lässt Polizeibeamte die Wohnungen der Ausländer bis zu hunderte Male und zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten durchsuchen. Die Beamten inspizieren Kühlschränke und wühlen in Mülleimern. Auch die Daten des Stromzählers vergleichen sie mit denen von anderen Anwohnern, um sich zu vergewissern, dass jemand tatsächlich am ausgewiesenen Ort seinen Lebensmittelpunkt hat.
Der Tessiner Rechtsanwalt Paolo Bernasconi spricht gegenüber 20 Minuten von Hunderten ihm bekannten Fällen solcher Hausdurchsuchungen, für die es «keine gesetzliche Grundlage» gebe. Auch kritisiert er, dass die Art des Deliktes nicht berücksichtigt werde, wenn eine Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werde. Das stelle eine eklatante Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips dar.
Dem widerspricht jedoch das Eidgenössische Justizdepartement (EJPD). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit werde immer in Betracht gezogen, sagt ein Sprecher auf Anfrage.
Beschwerde der Handelskammer
Laut Bernasconi hat sich zudem die Handelskammer über die Praxis beschwert, weil dadurch auch Spitzenmanager ausgewiesen würden – allerdings ohne Erfolg. SP-Nationalrätin Samira Marti sieht solche «Schnüffeleien als Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens der Behörden gegenüber Ausländern und Ausländerinnen, was wir klar ablehnen».
Gobbi verteidigt die Kontrollen. Sie würden nur bei grösseren Ungereimtheiten oder Berichten über einen längeren Zeitraum von mindestens sechs Monaten durchgeführt. Das Gesetz sehe nicht vor, dass eine Genehmigung verwehrt wird, weil jemand ein paar Nächte bei der Freundin in Italien verbracht habe.
Gobbi krebst mehrfach zurück
Trotz der Beteuerungen von Gobbi und dem EJPD gibt es auch Widerstand von italienischen Politikern. Die Bestimmung wurde darum 2015 zwischenzeitlich ausgesetzt. Vergangene Woche krebste Gobbi nochmals zurück. Er passte die Praxis so an, dass nur noch Gesuche abgelehnt werden, wenn die Person erst vor kurzem eine Straftat begangen hat und nicht, wenn sie vor vielen Jahren geschah.
Seit 2014 hat sich die Zahl der abgelehnten Aufenthaltsanträge im Tessin von jährlich 367 auf 908 fast verdreifacht. Bernasconi vermutet, dass die Behörde damit rechnet, dass Ausländer keine Beschwerde gegen den Entscheid einreichen, weil sie Konsequenzen befürchten oder ihnen schlicht die finanziellen Mittel fehlen. Der Anwalt fordert vom Bundesrat, gegen die «Verletzungen der bilateralen Verträge von Schengen und der EU einzuschreiten».