Nahrungsmittelkrise Teure Lebensmittel – «Ich habe Angst, dass meine Töchter hungern müssen»
Die Preise für Lebensmittel und Energie steigen – und viele können sich das Nötigste zum Leben nicht mehr leisten. Länder im globalen Süden steuern auf eine humanitäre Katastrophe zu.

- von
- Gabriela Graber
Darum gehts
Der Ukraine-Krieg hat die ganze Welt schwer getroffen – und seine Auswirkungen sind auf allen Kontinenten spürbar. Auch in kleinen Bauerndörfern Tansanias, wo unsere Reporterin unterwegs war. Dort haben ihr Menschen über ihre Ängste und Sorgen, die der Krieg verursacht, berichtet.
«Schon jetzt essen wir weniger»
«Seit dem Krieg ist alles teurer geworden: Getreide, Öl, Benzin, Dünger – bis zu 50 Prozent», sagt der Bauer Abdallah Chimila (70) aus Mbuo in der Region Mtwara im Süden Tansanias. «Ich habe fünf Kinder und sieben Enkelkinder. Schon jetzt essen wir weniger – und zahlen dennoch mehr für unsere Nahrungsmittel.» Auch auf der Produktionsseite sieht es düster aus. Chimilas Familie lebt vom Cashew-Anbau und von der Fischzucht. «Dafür brauchen wir Benzin – das viel mehr kostet. Gleichzeitig erhalten wir weniger Geld für unsere Produkte. Es ist zum Verzweifeln!» Chimila macht sich Sorgen um die Zukunft. Aber er gibt nicht auf. «Ich muss hart arbeiten und andere Wege finden. Aber in meinem ganzen Leben habe ich noch keinen derartigen Preisanstieg erlebt.»
Goldproduktionsfirma musste mehrere Personen entlassen
Die 29-jährige Nuru Mohamed aus Kiromo nahe der Küstenstadt Bagamoyo produziert und verkauft seit gut einem Jahr im eigenen Geschäft die sogenannten Mandazi, ein Donut-ähnliches Gebäck. «Die Preise der Zutaten dafür sind so stark gestiegen, dass ich anfangen musste, die Gebäcke teurer zu verkaufen. Doch dadurch habe ich nur meine Kunden verscheucht.» Mittlerweile verkauft sie kleinere Mandazi zum ursprünglichen Preis. «Ich habe zwei kleine Töchter – zwei und neun Jahre alt. Ich habe Angst, dass ich mit dem Geschäft Konkurs gehe und nicht mehr richtig für sie sorgen kann», sagt Mohamed unter Tränen.
«Für uns stark spürbar ist der Preisanstieg von Benzin und Diesel», erklärt Mlekwa Samwel (27), Arbeiter in einer Goldmine in Geita im Norden des Landes. Dort würden beide Kraftstoffe für das Schürfen und Verarbeiten von Gold verwendet. «Der Preis für Benzin ist um rund 140 Prozent gestiegen. Auch Chemikalien, die wir zum Behandeln des Goldes verwenden, sind enorm viel teurer geworden.» Seine Firma musste mehrere Personen entlassen, da sie sie nicht mehr bezahlen konnten. «Ich tue mein Bestes, um den Verbrauch der Chemikalien zu reduzieren. Denn wenn ich die Firma rette, rette ich auch meinen Job.»
«Ende Jahr leiden mehr als 350 Millionen Menschen an akutem Hunger»
«Durch den Krieg und die Inflation rasselt die ganze Welt auf eine noch nie dagewesene Gefährdung der Nahrungsmittelsicherheit zu», sagt Giancarlo Cirri vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. «Doch wenn die Preise steigen, trifft es Arme immer viel stärker als Reiche.» In Drittweltländern gäben Haushalte durchschnittlich 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, während dieser Anteil in der Schweiz nur 15 Prozent betrage, so Cirri.
Wusstest du von der prekären Situation im Globalen Süden?
Schon vor dem Ukraine-Krieg Anfang 2022 litten laut Cirri weltweit 267 Millionen Menschen an akutem Hunger. «Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Zahl wegen des Ukraine-Kriegs bis Ende 2022 auf mehr als 350 Millionen steigen wird.» Konkret bedeute das, dass diese Menschen weniger essen, Mahlzeiten auslassen und die Qualität und Vielfalt der Mahlzeiten abnehme, was sich direkt auf den Gesundheitszustand auswirke und zum Tod führen könne. «20 Länder sind am stärksten betroffen – darunter Afghanistan, Äthiopien, Nigeria, Südsudan, Somalia und Jemen.» Tansania gehöre nicht zu den Hunger-Hotspots, doch die Situation sei auch dort zunehmend kritisch.
«Die Preise für Nahrungsmittel bleiben viel zu hoch»
«Russland und die Ukraine gehören zu den weltweit grössten Produzenten von Getreide», so Cirri. Der Krieg beeinträchtige die Handelsströme – vor allem von Getreide, aber auch von Düngemitteln, Erdöl und Gas, und kurble die Inflation an. «Es tut sich zwar was, aber die Preise für Nahrungsmittel bleiben viel zu hoch.»
Cirri sieht keine Anzeichen dafür, dass sich das nächstens ändern könnte: «Die Ursache ist immer noch da. Es ist daher dringend notwendig, weiterhin Lebensmittel aus der Ukraine zu exportieren.» Bestrebungen, Exporte durch politische Vereinbarungen zwischen Russland und der Ukraine wieder anzukurbeln, hätten bereits zu einem Abkommen im Rahmen der «Black Sea Grain Initiative» geführt, sagte er.
«Was wir nun brauchen, ist eine grossangelegte humanitäre Aktion.» Schon jetzt habe das Welternährungsprogramm seine Notfallmassnahmen in allen betroffenen Ländern aufgestockt. Doch fehle es an genügend Mitteln. «Um die Krise zu lindern und Menschen vor Leid und Hunger zu bewahren, benötigt das World Food Programm dieses Jahr noch rund 22 Milliarden Franken.»
Disclaimer: Die Redaktorin belegt ein tiefprozentiges Mandat bei der Stiftung SWISSAID, aufgrund dessen sie die interviewten Menschen in Tansania besuchen konnte.
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.