CarfentanylTödliche Chemiedroge breitet sich in den USA aus
Die Droge ist so stark, dass man damit Elefanten betäubt. Beim Menschen kann schon eine winzige Menge Carfentanyl tödlich sein.
- von
- Erika Kinetz und Raphael Satter
- AP
Die USA werden immer stärker mit der tödlichen Chemikalie Carfentanyl überschwemmt. Allein seit Juli hat es mehr als 400 dokumentierte Fälle von Beschlagnahmungen in acht Bundesstaaten gegeben, wie die Nachrichtenagentur AP bei Recherchen herausgefunden hat.
Der Stoff, der sich aus dem Opioid Fentanyl ableitet, kommt aus China. Und wahrscheinlich sind bereits Hunderte von Überdosierungen in den USA und Kanada auf ihn zurückzuführen.
In China unterliegt die Droge keinen Regulierungen
Eine jüngste AP-Untersuchung hat gezeigt, wie leicht sich die Chemikalie via Internet kaufen lässt. Demnach sind es derzeit mindestens neun chinesische Firmen, die Carfentanyl anbieten, ohne den Käufern Fragen zu stellen. AP stiess zudem auf weitere vier Unternehmen, die bereit sind, die Droge zu verkaufen, einige davon angeblich mit US-Adressen. Um eine Stellungnahme ersucht, behaupteten die meisten Firmen, sie hätten den Stoff niemals angeboten.
Ein Ehepaar liegt mit einer Überdosis Heroin auf einer Strasse in Memphis. Passanten filmen und lachen.
Die Verkäufer profitieren von einem Schlupfloch bei der globalen Regulierung dieser Substanz, die so giftig ist, dass ihre Wirkung mit der eines Nervengases verglichen wird. In den USA zählt Carfentanyl zu den kontrollierten Substanzen, es kann legal dazu verwendet werden, grosse Tiere wie etwa Elefanten zu betäuben. Aber in China unterliegt es keinen Regulierungen.
5000-mal stärker als Heroin
«Dieses Schlupfloch muss geschlossen werden, denn sogar kleinste Mengen können einen schrecklichen tödlichen Effekt haben», sagt Andrew Weber, ein ehemaliger Experte für biologische und chemische Kampfstoffe im US-Verteidigungsministerium. «Terroristen könnten die Chemikalie kommerziell erwerben, so wie wir es bei Drogenhändlern erlebt haben.»
Carfentanyl ist 5000-mal stärker als Heroin und 100-mal stärker als Fentanyl selber – und damit so giftig, dass schon eine kleinere Menge als ein Mohnsamen einen Menschen töten kann. 2002 wurde es im Moskauer Dubrowka-Theater zur Befreiung von Geiseln aus der Gewalt tschetschenischer Separatisten eingesetzt.
Droge breitet sich über illegale Märkte aus
Vertreter der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA und des Aussenministeriums haben mit chinesischen Stellen über die Gefährlichkeit dieses Stoffes gesprochen. China hat bereits 19 von Fentanyl abgeleitete Substanzen reguliert, aber Carfentanyl bisher nicht auf die schwarze Liste gesetzt.
Der DEA zufolge stammt die Droge, die sich über illegale Märkte in den USA ausbreitet, nicht aus einheimischen legalen Beständen. «Wir glauben, dass das Carfentanyl, das in mehreren US-Staaten beschlagnahmt worden ist, aus ausländischen Quellen stammt», sagt der Beamte Russell Baer.
Ohio ist das Marktzentrum
Die Behörde hat seit Juli, als Carfentanyl erstmals sicher auf den US-Drogenmärkten identifiziert wurde, die Substanz in mindestens 407 Fällen beschlagnahmt. Die von AP eingesehene Liste nennt keine Mengen. Dealer verarbeiten die Substanz und andere synthetische Opioide, um sie dann beispielsweise als gefälschte verschreibungspflichtige Pillen anzubieten – was ihnen höhere Profite bringt.
Ein Marktzentrum ist anscheinend Ohio, wo die Behörden allein 343-mal fündig wurden. An zweiter Stelle folgt Florida mit mindestens 34 erfolgreichen Razzien. Sichergestellt wurde die Droge auch in Kentucky, Indiana, Michigan, Illinois, Georgia und Rhode Island.
Problem möglicherweise grösser als bekannt
In Akron, ebenfalls in Ohio gelegen, hatten es Sanitäter allein im Juli innerhalb von 21 Tagen mit 236 Fällen von Überdosen zu tun, unter denen Carfentanyl vermutet wird. 14 davon waren tödlich. Im Vergleich dazu gab es dort im ersten Halbjahr 2016 «nur» 320 solcher Fälle, bei denen verschiedene Drogen im Spiel waren. In Cincinnati (ebenfalls Ohio) wurden der DEA zufolge im September sechs Todesfälle durch Carfentanyl festgestellt.
Und dabei hat das Problem wahrscheinlich noch grössere Ausmasse als bisher bekannt. Die DEA-Statistiken über die Beschlagnahmungen erfassen nur Fälle, in denen Labortests bestätigt haben, dass es sich um Carfentanyl handelte. Manche örtliche Stellen haben möglicherweise keine spezifischen Tests auf diese Substanz hin veranlasst, und nicht alle Labors verfügen über die Kapazität dafür.
«Macht euch keine Sorgen»
Direkte Exporte von mit Fentanyl verwandten Chemikalien kommen als Luftfracht oder per Post in die USA, aber sind schwer zu identifizieren, wie aus Aussagen vor dem US-Kongress hervorgeht, die AP eingesehen hat. «Standard-Testausrüstungen können Fentanyl nicht akkurat aufspüren», sagte R. Gil Kerlikowske vom US-Zoll demnach in einer Anhörung. Er fügte hinzu, dass Informationen der chinesischen Behörden über Sendungen in Richtung USA dem Zoll helfen könnten, die verbotenen Pakete abzufangen.
Die Verkäufer scheine aber bisher zuversichtlich, dass sie keine Kontrollen fürchten müssen. Manche garantieren sogar ausdrücklich die Ankunft ihrer Lieferungen. Shanxi Jinwei Technology Corp. etwa, das Carfentanyl und andere Drogen zum Export in die USA und nach Europa anbot, schrieb in einem E-Mail: «Macht euch keine Sorgen.» Man werde alles in Aluminium-Beuteln verstauen, und wenn ein Päckchen nicht ankommen sollte, werde es durch eine neue Lieferung ersetzt.
Jeden Tag wird versucht, illegale Produkte ausfindig zu machen
Die Verkäufer machen es sich auch zunutze, dass grössere Handelsplattformen wie Südkoreas EC21.com und Chinas LookChem.com nur lose kontrolliert werden. EC21 gibt an, drei Millionen Produkte liefern zu können, darunter Carfentanyl, Heroin, Kokain und Methamphetamin, wie AP herausgefunden hat.
Eine EC21-Sprecherin, die ihren Namen nicht nennen wollte, erklärte, dass die Seite auf 700 Schlüsselworte hin abgesucht werde. Jeden Tag werde viel Zeit und Mühe dafür aufgewendet, illegale Produkte ausfindig zu machen.
Noch grösserer Markt im Darknet
Aber Unternehmen können solche Mechanismen leicht überlisten – schon allein durch einen absichtlichen Tippfehler. Die Suche nach dem Wort Fentanyl etwa ergab kein Resultat. Aber «Fentanyll» erbrachte 806 Produkte von 422 Firmen auf EC21.
All dies beschreibt nur Verkäufe im offenen Internet. Das Darknet, ein «dunkles Netzwerk» von Webseiten, die für die meisten Internetnutzer unsichtbar sind, ist ebenfalls ein blühender Markt für Drogen. Eine Darknet-Suchmaschine etwa erbrachte 118 Verkaufsangebote von Carfentanyl.